Erste Schritte in ArchiMate
ArchiMate ist eine ausdrucksstarke Modellierungssprache. Der Funktionsumfang kann erschlagend wirken. Anhand von konkret nutzbaren Praxisbeispielen soll der Umgang damit gezeigt werden.
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Gesamtübersicht über ArchiMate-Anwendungsgebiete
Fühlen Sie sich auch von dem Bild erschlagen? Mir ging es anfangs ganz genauso. Aber eine Sprache kann man nur dadurch lernen, indem man sie benutzt. Daher möchte ich Sie an meiner Erkundung der Notation teilhaben lassen, mit dem Ziel, sie Ihnen auch ein Stück näher zu bringen.
01. Schritt: Prozesslandkarten in ArchiMate
Um es gleich vorweg zu nehmen: es ist nichts falsch an WKD, und wenn Sie Ihre Prozesslandkarten darin modelliert haben, sollten Sie dabei bleiben. Andererseits ist bereits Bekanntes immer ein guter Weg, um eine andere Sprache kennenzulernen.
Für Behörden, die noch keine Prozesslandkarte erstellt haben, stellen sich jedoch andere Fragen. Sie müssen die Notation WKD erst erlernen, und das Wissen darüber dauerhaft aufrecht erhalten. Später werden sie ohnehin zu ArchiMate gelangen, und damit neben BPMN eine dritte Notation erlernen müssen. Wenn man also Prozesslandkarten auch in ArchiMate modellieren kann, warum sollten Sie dann nicht zwei statt drei Notation lernen? Es spricht nichts dagegen, sich das Leben einfacher zu machen.
Für beide Zielgruppen stellt also die Prozesslandkarte einen geeigneten Einstieg in ArchiMate dar.
Wie beginnen mit ArchiMate?
Bevor man den ersten Strich in ArchiMate zeichnet, sollte man sich immer folgende Fragen stellen:
- Was möchte ich aussagen? (Inhalt)
- Für wen möchte ich es formulieren? (Zielgruppe)
Findet man nicht auf alle Fragen eine klare Antwort, heißt das: Zeichenwerkzeug fallenlassen und erst einmal nachdenken.
Was also will man mit einer Prozesslandkarte aussagen?
Eine Prozesslandkarte ist eine graphische Übersicht aller Prozesse, die in einer Organisation ablaufen. Wie eine geographische Landkarte, ist eine Prozesslandkarte eine Orientierungshilfe für eine Vielzahl von Betrachtern, weil sie einen Gesamtüberblick über die Prozesslandschaft einer Behörde verschafft, indem Prozesse strukturiert, vereinfacht und verständlich präsentiert werden.
Im Vergleich zu Organigrammen oder Geschäftsverteilungsplänen, die hierarchische Beziehungen zwischen Organisationseinheiten und Fachabteilungen einer Behörde visualisieren und somit eine Sicht auf den Aufbau einer Organisation verschaffen, konzentrieren sich Prozesslandkarten darauf, Organisationen ganzheitlich anhand ihrer internen Abläufe zu betrachten. Somit wird eine prozessorientierte Sicht auf die Behörde gewährt.
In aller Regel werden die Prozesse in der Prozesslandkarte in drei Kategorien unterteilt:
- Führungsprozesse: sind immer direkt an der Erstellung der Behördenleistung beteiligt und bilden damit als Gruppe die Wertschöpfungskette einer Behörde.Dadurch zählen sie auch mit Abstand zu den wichtigsten Prozessen einer Organisation
- Kernprozesse: sind immer direkt an der Erstellung der Behördenleistung beteiligt und bilden damit als Gruppe die Wertschöpfungskette einer Behörde.Dadurch zählen sie auch mit Abstand zu den wichtigsten Prozessen einer Organisation.
- Unterstützungsprozesse: sind nur indirekt an der Wertschöpfung einer Organisation beteiligt. Es gibt keine direkten Verbindungen zwischen den Unterstützungsprozessen und den anderen Prozessen. Dennoch schaffen die Unterstützungsprozesse als Ergebnis die Voraussetzungen für die Umsetzung der sonstigen Prozesse. Daher sind sie für die Erhaltung der Wertschöpfungskette der Organisation essenziell, weil sie sicherstellen, dass alle Voraussetzungen für den ordnungsgemäßen Ablauf der Kernprozesse erfüllt sind.
An wen richtet sich die Prozesslandkarte?
Diese Frage muss jede Behörde für sich selbst beantworten. Da ich hier keine echten Prozesse zeigen werde, muss ich die geeignete Flughöhe auch nicht ermitteln. Das ist aber eine wichtige Vorbereitung für die Erstellung der Prozesslandkarten.
Nach Fertigstellung wird ein Dokument als Handreichung bei der Erstellung von Prozesslandkarten diesem Artikel hinzugefügt.
Was brauche ich in ArchiMate dafür?
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Das Tool Archi®(öffnet ein neues Fenster), das ich bis zur Einführung des neuen Werkzeugs für ArchiMate-Modelle verwende, weil das alte BICBusiness Information Center Design das nicht anbietet, bietet mir zwei sehr ähnliche Elemente an:
„Die Gruppierung (Grouping) fasst Begriffe zusammen, die aufgrund näher zu definierender Aspekte zusammengehören. Das Gruppierungselement kann willkürlich Gruppen von Begriffen zusammenfassen, die Elemente bzw. Verbindungen unterschiedlicher oder gleicher Typen enthalten. Die Verbindung zu den gruppierten Begriffen erfolgt mittels Aggregations- oder Kompositionsverbindungen.
Die Gruppe (Group) kennzeichnet dagegen eine Gruppe von Objekten, die zusammengehören, aber keine Verbindung wie mit dem Gruppierungselement eingehen sollen. Die Gruppe ist ein bequemer Weg, um eine Anzahl von Elementen visuell zusammenzufassen, ohne sich um semantische Verbindungen zu kümmern.“
Für den Anfang hatte ich daher drei Gruppen (d. h. die grauen Kästchen mit aufgesetztem Tab) in einer Reihe untereinander gezogen und diese „Führungsprozesse“, „Kernprozesse“ und „Unterstützungsprozesse“ benannt. Beim Einfügen von anderen Elementen wurde ich auch nicht nach dem Verbindungstyp gefragt. So bekam ich in relativ kurzer Zeit eine optisch ansprechende Prozesslandkarte.
Für Behörden, die schon ein wenig mehr Erfahrung haben, drängt sich sofort eine Frage auf: Wie sind ohne Verbindung die Zugehörigkeiten der Prozesse zu den Gruppen auswertbar? Die traurige Antwort lautet: im jetzigen Zustand gar nicht!
Es gäbe natürlich die einfache Möglichkeit, ein Attribut für jeden Prozess mit einer Auswahlliste zu definieren. Allerdings könnte dann das Attribut vom Namen der Gruppe abweichend gesetzt werden, was zu Verwirrung führen würde. Und da die Prozesse keine Verbindung zur Gruppe haben, müsste man aufwändig manuell prüfen, ob auch alle Attribute korrekt gesetzt wurden. Daher ist das keine intelligente Form der Datenmodellierung.
Und ein weiterer wichtiger Grund spricht gegen die Gruppe: Sie existiert gar nicht in der ArchiMate-Spezifikation! Ich hatte mich blind auf die im Werkzeug Archi vorhandene Definition verlassen und wurde erst später bei der Qualitätssicherung darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine herstellerspezifische Erweiterung handelt. Lektion gelernt: Bevor ich in Zukunft ein Element verwende, prüfe ich erst einmal auf der offiziellen Dokumentationsseite die Inhalte: ArchiMate® 3.2 Specification. Bei der Menge an teils ähnlichen Symbolen ist dieses Vorgehen immer empfehlenswert.
Begriffe (concepts) in ArchiMate
Elemente in ArchiMate werden in der Regel als Rechteck mit abgerundeten Ecken dargestellt, einem Begriff im Textfeld, und einem Symbol meist rechts oben in der Ecke. Manchmal findet man aber auch nur das Symbol mit Beschriftung. Die Füllfarbe hat eine Bedeutung, so symbolisiert ein blasses Gelb die Organisationsarchitekturebene (Business architecture layer). Ein Geschäftsprozess gehört zu dieser Ebene und wird durch einen Pfeil symbolisiert.
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„Ein Geschäftsprozess (Business process) beschreibt eine Abfolge von Organisationstätigkeiten (Business behavior), die ein bestimmtes Ergebnis erreichen, wie z. B. ein definierter Satz von Produkten oder Dienstleistungen. Für einen Kunden ist das Organisationsverhalten nur von untergeordnetem Interesse, so dass ein Prozess als „intern“ bezeichnet wird.“
Ein komplexer Geschäftsprozess kann eine Zusammenfassung für andere, feiner detaillierte Prozesse sein. Zu jeder dieser feiner detaillierten Prozesse kann eine feiner detaillierte Rolle zugeordnet werden.
Der Name eines Geschäftsprozesses sollte immer aus einem Hauptwort (Substantiv) gefolgt von einem Zeitwort (Verb) in der Gegenwartsform (Präsens) bestehen. Beispiele: Antrag entgegennehmen, Zahlung leisten, Vertrag abschließen.
Kleiner Exkurs zum Thema Sprache
Jede Sprache verwendet Begriffe, und häufig hat ein Begriff mehrere Bedeutungen. Das illustriert der folgende Witz: „Kennst Du den Unterschied zwischen kostenlos und umsonst?“ - „Nein.“ - „Meine Schulbildung war kostenlos!“ Noch komplexer wird es, wenn fremdsprachliche Begriffe eingedeutscht werden. Wir Deutschen sind in Bezug auf die Verwendung von Fremdworten eindeutig Koniferen - für Koryphäen reicht es nicht. Weil „frame“ Rahmen bedeutet, kann „framework“ nicht ebenfalls Rahmen bedeuten, daher schaffen wir das Wort „Rahmenwerk“, das es gar nicht gibt. Schließlich können ja auch „Danke“ und „Dankeschön“ nicht dasselbe bedeuten, oder?
Scherz beiseite: In Italien gibt es das Sprichwort „Traduttore, traditore“ - „Jeder Übersetzer ist ein Verräter.“ Wer sich die Originaldokumentation von ArchiMate durchgelesen hat, wird festgestellt haben, dass ich weiter oben den Begriff „concept“ nicht mit „Konzept“, sondern mit „Begriff“ übersetzt habe. Im Deutschen wird unter „Konzept“ eher ein Dokument verstanden, das grundsätzliche Fragen zu einem Thema beantwortet und ein Vorgehen vorschreibt. Der Englische Begriff „concept“, der als Sammelbegriff für die ArchiMate-Elemente verwendet wird, ist viel weiter gefasst, und kann neben Konzept auch Auffassung, Idee, Begriff, Entwurf, Leitbild oder auch Erfindung bedeuten. Indem ich die Übersetzung „Begriff“ herausgepickt habe, habe ich bereits eine Einschränkung der Bedeutung vorgenommen. Dennoch war mir „Begriff“ sympathischer als „Konzept“. Denn die ArchiMate-Elemente verwenden Begriffe, die wiederum unterschiedlich verstanden werden können.
Ich versuche daher, bei der Einführung von neuen Worten immer auch das englische Original in Klammern daneben zu setzen, um die ggf. abweichende oder erweiterte Bedeutung nicht zu verlieren.
Verbindungen
Wie oben beschrieben, ist die Zuordnung der Begriffe zu den Gruppierungen nur über Verbindungen sinnvoll realisierbar. Zwischen Begriffen und Gruppierungen existieren laut Dokumentation zwei mögliche Verbindungstypen. Welchen davon sollen wir auswählen?
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„Die Kompositionsverbindungen (Composition relationship) zeigt an, dass ein Objekt aus einer Anzahl von anderen Objekten besteht. Die Komposition wird so verstanden, dass das übergeordnete Element ganz oder teilweise aus den vollständigen untergeordneten Elementen besteht. Das übergeordnete Element ist das „Ganze“, und die untergeordneten Elemente sind die Teile. Existiert das Ganze nicht mehr, verschwinden auch die Teile. So kann ein Leib aus mehreren Organen und Gliedern bestehen, und die Glieder und Organe können ohne den Leib nicht existieren. Eselsbrücke: Eine Komposition, wie ein Lied oder eine Sinfonie, besteht aus einzelnen Noten. Noten stehen niemals alleine für sich, sondern sind immer Teil einer Komposition.“
Die Komposition wird durch eine Linie mit einer ausgefüllten Raute an dem Ende dargestellt, an dem sich das zusammengefasste bzw. übergeordnete Element befindet.
„Die Aggregationsverbindung (Aggregation relationship) gruppiert eine Anzahl von unterschiedlichen Begriffen. Anders als die Komposistion impliziert die Aggregation keine Abhängigkeit zwischen den aggregierten und den aggregierenden Begriffen. Eselsbrücke: Eine Anzahl von Schulkindern kann zu einer Klasse, aber auch zu einer Theater-AG aggregiert werden. Die Schulkinder wären jedoch auch vorhanden, wenn sie weder zu einer Klasse noch zu einer Theater-AG aggregiert wären."
Die Aggregationsverbindung wird durch eine Linie mit einer leeren Raute an dem Ende dargestellt, an dem sich das gruppierende Element befindet.
Welche der beiden Verbindungstypen ist für eine Gruppierung mit den zugehörigen Prozessen die Richtige?
Da die Gruppen Kern-, Führungs- und Unterstützungsprozesse keine eigenständigen Elemente sind, sondern nur eine willkürliche Kategorisierung, wird die Aggregationsverbindung als Verbindung der Gruppen mit den Prozessen eingesetzt.
Dagegen ist für die Verbindung zwischen Haupt- und Teilprozessen die Komposistionsverbindung die richtige Wahl. Denn die Teilprozesse würden ohne die Hauptprozesse nicht existieren.
Zwischen aufgeführten Prozessen auf gleicher Ebene können ebenfalls Verbindungen existieren. So können mehrere Prozesse zu einer gemeinsamen Wertschöpfungskette gehören oder in einer bestimmten Reihenfolge ablaufen. Für diese Verbindung werde ich für den Anfang die Assoziationsverbindung wählen.
Die Assoziationsverbindung (Association relationship) besitzt anfangs keine Richtung, ist eher unspezifisch und ist deshalb für große Flughöhen wie die Prozesslandkarte ideal geeignet. BPMN-Experten kennen die Assoziation ebenfalls, sie verbindet dort Strukturelemente wie Daten und Datenspeicher, und sie funktioniert in ArchiMate ganz genauso.
Verbindungen sind ein sehr wichtiger Bestandteil von ArchiMate, deshalb habe ich gleich zu Anfang das ein wenig komplexe Thema detaillierter beleuchtet. Wir werden immer wieder auf die genannten Verbindungen stoßen.
Deshalb fasse ich die Verbindungstypen und ihre Verwendung in der Prozesslandkarte nochmal auf einen Blick zusammen:
Verbindungstyp | Verwendung bei Prozesslandkarten |
Aggregation | Zwischen Gruppierung und Prozessen auf oberster Ebene. |
Assoziation | Zwischen Prozessen auf der gleichen Ebene, die irgendwie zusammenhängen. |
Komposition | Zwischen Haupt- und Teilprozessen. |
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Die Grafik zeigt die Prozesslandkarte mit Gruppierungen. Weil die Prozesse innerhalb der Gruppierungen stehen, sind die Aggregationsverbindungen nicht zu sehen. Das ist eine Besonderheit von ArchiMate: es ist sowohl möglich, die einzelnen Elemente über- bzw. nebeneinander zu platzieren, als auch ineinander. Bei der letzteren Darstellung werden die Verbindungslinien ausgeblendet.
Wen übrigens die fehlende Hintergrundfarbe stört: diese lässt sich einstellen.
Darüber hinaus habe ich noch eine Assoziationsverbindung zwischen den Führungsprozessen „Personalbedarf berechnen“ und „Finanzbedarf planen“ gezogen, weil ich zeigen möchte, dass die Prozesse etwas miteinander zu tun haben.
Durch dieses Vorgehen kann man jetzt auch die Prozesse nach ihren Kategorien auswerten. Sobald weitere Unterprozesse hinzukommen, gelingt dies auch über mehrere Verbindungsschritte und Elemente hinweg. Auf diese Weise lassen sich komplexe Netzwerke bilden und Zusammenhänge visualisieren, aber auch Auswertungen fahren.
Zudem ist deutlich zu sehen, dass ArchiMate sehr gut geeignet ist, Prozesslandkarten zu erstellen, und dass der Prozess der Erstellung nicht besonders schwierig ist.
Für den ersten Schritt war das genug zu verdauen, in weiteren Schritten werden wir die Möglichkeiten von ArchiMate nach und nach erforschen.
02. Schritt: Organigramme
Korrekt, alle in der Bundesverwaltung eingesetzten Tools bieten eine herstellerspezifische Modellierung für Organigramme an. Warum also sollte jemand auf die Idee kommen, Organigramme in ArchiMate zu modellieren?
Die Antwort ist nicht ganz einfach zu verstehen. Sie ist noch weniger einfach zu beschreiben. Tatsächlich bin ich im ersten Versuch gescheitert, weil der Artikel zu schnell zu kompliziert wurde. Deshalb werde ich jetzt erst einmal die Grundlagen legen, um dann in den nächsten Schritten nach und nach auf die Vorteile der Abbildung von Organigrammen im Zusammenhang mit weiteren Aspekten einzugehen.
Zuerst einmal ein paar grundsätzliche Überlegungen zu Organigrammen: Organigramme entstammen einer „kästchenbezogenen“ Denkweise. Dabei wird der Zuschnitt von Organisationseinheiten in einer Behörde nicht entlang von Aufgaben und Abläufen entwickelt, sondern anhand von scheinbaren Themenzusammenhängen. Diese Themenzusammenhänge sind häufig konstruiert. In der Folge stellt man regelmäßig fest, dass die Organisation nicht zufriedenstellend funktioniert, und strukturiert um. Wenn in Ihrer Behörde in den letzten 10 Jahren mindestens zwei großflächige Reorganisationen stattgefunden haben, oder sich Organisationseinheiten fingerzeigend gegenüberstehen und gegenseitig blockieren, sind auch Sie wahrscheinlich Opfer des Kastendenkens geworden.
Was ist am Kastendenken denn problematisch, oder: warum geht das so häufig daneben? In der Regel werden die Kästen „von oben“ entwickelt, d. h. von Personen, die „über den Dingen schweben“ und die „Mühen der Ebene“ gar nicht kennen. Dieses mangelnde Detailwissen führt zu teils irrigen Annahmen oder falschen Vereinfachungen, die dann in die Kästchen mit einfließen.
ArchiMate hilft hier, eine neue Sichtweise auf Organisationen zu entwickeln. Das liegt vor allem daran, dass ArchiMate dieselben Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven (Sichten oder Views) beleuchtet. Die Veränderung ist so bahnbrechend wie die, dass die Erde keine Scheibe und der Mond kein gigantischer Käselaib ist, der am Himmel seine Bahnen zieht. Die neue Sichtweise ist wiederum eine notwendige Voraussetzung für alle Verheißungen der heutigen Zeit, wie agiles Vorgehen und Digitalisierung.
Das ist jedoch bislang ziemlich abstrakt. Worin besteht die Sichtweise, und was verändert sie? Dieser Frage werden wir in diesem und den nächsten Schritten nachspüren. Als Basis werde ich das BMI-Organigramm mit Stand März 2023 in Ausschnitten verwenden.
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Die Grafik links stellt einen Ausschnitt aus dem BMI-Organigramm Stand März 2023 dar. Gezeigt wird die Abteilung DV, die aus den Unterabteilungen DV I und DV II besteht. Betrachten wir zuerst einmal die neu eingeführten Elemente.
„Das Element Akteur (Business actor) beschreibt eine (Organisations-)Einheit, die in der Lage ist, geschäftsbezogene Tätigkeiten (Business behavior) zu erledigen. Im Regelfall wird ein Akteur die Tätigkeiten durchführen, die zu einer oder mehreren Geschäftsrollen gehören. Diese Trennung zwischen Akteur und Rolle ist wichtig, weil jeder Akteur mehr als eine Rolle ausführen kann, und jede Rolle von mehr als einem Akteur wahrgenommen werden kann.“
Akteure sind Organisationseinheiten oder Menschen im Sinne von Individuen oder Gruppen. Die Bezeichnung eines Akteurs sollte immer ein Hauptwort (oder mehrere zusammengehörende Hauptworte) sein.
Der Akteur wird durch ein Strichmännchen dargestellt.
Die Verbindung zwischen Unterabteilung und Abteilung wird durch die bereits bekannten Kompositionsverbindung hergestellt, d. h. die Abteilung besteht aus ihren Unterabteilungen. Die Darstellung erfolgt hier mit sichtbaren Verbindungen in Anlehnung an die bekannten Organigramme. Die Verbindungen können auch übereinandergelegt werden, um das Aussehen noch mehr an die bisherigen Grafiken anzunähern.
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Die Zuordnung kann jedoch auch durch eine Verschachtelung der Elemente ineinander dargestellt werden. Es handelt sich lediglich um eine andere Sicht auf den bekannten Sachverhalt. Zieht man eine Unterabteilung in die Abteilung, dann wird aufgrund der vorhandenen Kompositionsverbindung gar nicht mehr nach einer Verbindung gefragt.
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Gehen wir von dem aktuellen Stand aus weiter nach unten in der Hierarchie. Auch die Verbindung zwischen den Referaten und den Unterabteilungen ist wiederum eine Komposition. Die Referate werden ebenfalls als Akteure dargestellt. Die Verbindungen sind wieder unsichtbar, weil die Referate innerhalb der Unterabteilung dargestellt werden. Natürlich ist auch die klassische Ansicht mit den Linien erlaubt. Welche gewählt wird, hängt von den Anforderungen an die Darstellung und den persönlichen Vorlieben ab. Ich bevorzuge eher die linke Form mit den integrierten Referaten, weil man bei der rechten Form mit viel Aufwand die Verbindungen in die richtige Position bringen muss.
Bislang scheint sich gegenüber dem klassischen Organigramm noch kein Vorteil abzuzeichnen, oder? Der Unterschied wird in den folgenden Schritten zutage treten.
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Noch ein kleiner Exkurs für Fortgeschrittene: Bislang habe ich mich auf die mittlere Führungsebene beschränkt. Wie sieht es jedoch mit der oberen Führungsebene aus? Ist eine Abteilung Bestandteil der Behördenleitung?
Die Behördenleitung ist nicht die Organisation, sondern auch eine Organisationseinheit innerhalb. Daher ergibt eine Kompositionsverbindung wenig Sinn. Am Beispiel des Staatssekretärs kann das deutlich gemacht werden. Da ein Staatssekretär trotz seiner Vorgesetztenfunktion gegenüber einem Abteilungsleiter nicht aus den Abteilungen zusammengesetzt ist, kommt hier eine andere Verbindung zum Einsatz:
„Die unterstützende Verbindung (Serving relation) beschreibt, wie Dienste oder Schnittstellen, die von einem Verhalten oder einem aktiven Strukturelement (wie dem Akteur) angeboten werden, den jeweiligen Gegenparts in ihrer Umgebung dienen. Es beinhaltet eine Kontrollfunktion des übergeordneten Elements.“
Damit kann die Verbindung zwischen der oberen Führungsebene und der in der Organisation verankerten Abteilung auch besser dargestellt werden als mit einer Aggregation, die diese Kontrollfunktion nicht enthält.
Die unterstützende Verbindung wird als einfacher Pfeil mit einer aus zwei orthogonalen Linien bestehenden Spitze dargestellt.
03. Schritt: Rollen
Im 2. Schritt habe ich ein Organigramm in ArchiMate abgebildet. Zum bisherigen Organigramm war aber noch kein Unterschied zu erkennen. Gehen wir nun einen Schritt weiter, indem wir den Akteuren Geschäftsrollen zuweisen.
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„Eine Geschäftsrolle (Business Role) stellt die Verantwortlichkeit für die Ausführung einer bestimmten Tätigkeit dar, zu der ein Akteur zugewiesen kann, oder die Rolle, die ein Akteur in einer bestimmten Aktion oder einem Ereignis spielt.“
Die Geschäftsrolle wird durch ein Rohr bzw. liegendes Fass dargestellt.
Eine Geschäftsrolle kann von mehr als einem Akteur wahrgenommen werden. Umgekehrt kann ein Akteur mehr als eine Geschäftsrolle wahrnehmen.
Eine Geschäftsrolle existiert innerhalb einer Organisation normalerweise unabhängig von der Frage, ob ein Akteur sie wahrnimmt oder nicht. Ein Akteur, der einer Rolle zugewiesen ist, ist für die die Sicherstellung der zugehörigen Verhaltensweisen verantwortlich. Das kann durch die Ausführung genauso passieren wie durch das Delegieren und Kontrollieren der Ausführung.
Darüber hinaus kann eine Geschäftsrolle zu einem oder mehreren Geschäftsprozessen zugewiesen werden.
Der Name der Geschäftsrolle sollte ein Hauptwort sein.
Geschäftsrollen können über eine Kompositionsverbindung auch in Teilrollen unterteilt werden.
Im Bild wird die Rolle Prozessmanagement, die mir zugewiesen ist, in zwei Teilrollen unterteilt: die Fachaufsicht über das Kompetenzzentrum Prozessmanagement (CC PM) im BVA, und die Maßnahmenverantwortung der DK-Maßnahme PMT.
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Die Zuweisung einer Rolle zu einem Akteur erfolgt über eine Zuweisungsverbindung.
„Die Zuweisungsverbindung (Assignment relationship) verbindet entweder Akteure mit Geschäftsrollen oder ein aktives Element (z. B. Geschäftsrollen) mit einem von ihm ausgeführten, tätigkeitsbezogenen Element (z. B. einem Prozess). Die Zuweisungsverbindung stellt die Zuweisung von Verantwortlichkeit, Durchführung von Tätigkeiten, Speicherung oder Ausführung dar.“
Die Zuweisungsverbindung wird durch einen kleinen, ausgefüllten Kreis an der übergeordneten und einen Pfeil mit ausgefüllter Spitze an der zugewiesenen Seite dargestellt.
Auch die Zuweisungsverbindung kann durch das Darstellen innerhalb des übergeordneten Elements dargestellt werden.
Im Beispiel wird dem Staatssekretär die Rolle CIO Bund zugewiesen.
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Das Bild zeigt die Rollen, die der Organisationseinheit DV I 3 mit Stand März 2023 zugewiesen sind. Auch hier lassen sich die Verbindungen durch das In-das-übergeordnete-Element-Ziehen wieder verstecken. Welche Darstellung man wählt, ist Geschmackssache.
Die Trennung zwischen Organisationseinheit und Rolle vereinfacht die Übersicht über die einzelnen Aufgaben in der Organisationseinheit. Auch wenn es möglich ist, dass mehrere Akteure eine Rolle einnehmen, ist das nur in wenigen Fällen sinnvoll. Ein Abgleich der vorhandenen Rollen kann sinnlose Redundanzen und organisatorische Optimierungs- bzw. Standardisierungsmöglichkeiten aufzeigen.
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Ihre wahre Stärke spielen Rollen aber erst im Zusammenspiel mit Prozessen aus: Ohne diese Abstraktionsschicht weist man einem Prozess oder einer Aktivität die Organisationseinheit als Verantwortlichkeit zu. Durch das beschriften der Zuweisung kann man sogar die Information hinterlegen, welcher Art die Zuweisung ist. Das klappt übrigens für alle Verbindungen.
In einem BPMN-Diagramm wird das dagegen in der Regel mit einer an einen Prozess oder an eine Aktivität angehängten RACI-Matrix dargestellt, in der die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten (Informieren, Entscheiden, Duchführen usw.) gespeichert werden. Die Folge: Einerseits müssen unzählige Organisationseinheiten zu den einzelnen Aktivitäten hinzugefügt werden. Andererseits müssen diese bei jeder Umorganisation alle wiedergefunden und geändert werden.
Durch die Einführung der Rolle in ArchiMate ändert man bei einer Umorganisation lediglich die Zuweisung der Rolle zum Akteur. Im Prozess ändert sich nichts. Das macht diese Aufgabe erheblich einfacher.
Übrigens kann man Rollen-Elemente auch mit Lanes in BPMN verbinden, um so eine übergreifende Auswertung zu ermöglichen.
04. Schritt: Aufgabenkatalog / Leistungskatalog
Aufgabenkatalog
Mit frischem Mut durch die drei recht einfach zu schreibenden Artikel hatte ich mir als nächstes vorgenommen, die Aufgabenliste zu beschreiben. Die erste Ernüchterung folgte bald: Es gibt keine Aufgabe in ArchiMate, und noch nicht einmal etwas, was der Beschreibung auch nur nahe kommt. Ich sprach mit verschiedenen Experten, die mir Elemente vorschlugen, aber keines passte so recht zu meiner Vorstellung einer Aufgabe - HALT!
Irgendwann ertappte ich mich selbst bei diesem Gedanken. Hatte ich nicht bereits im ersten Artikel geschrieben, dass man, bevor man mit der Modellierung beginnt, wissen muss, WAS man sagen will? Und dann mache ich genau diesen Fehler? Ich habe nur „meine Vorstellung“ von der Aufgabe als dem Begriff, den ich beschreiben will?
Aus Fehlern sollte man lernen. Also, fangen wir noch einmal von vorne an: Was ist eine Aufgabe in einer Behörde? Und warum gehört die Aufgabenliste zu den grundlegenden Voraussetzungen für einen Reifegrad? In den entsprechenden Gesetzen steht dazu nicht viel, auch nicht im Organisationshandbuch. Also besorgte ich mir ein paar Aufgabenlisten, die aus der Praxis stammten, und ging sie durch.
Die Lektüre der Aufgabenlisten brachte mich jedoch auch nicht weiter. „Technischer Support“ stand auf derselben oberen Ebene wie „Baugenehmigungen“, und auf der unteren Ebene befand sich „Briefmarke aufkleben“. Das erste ist eine Organisationseinheit, das zweite eine Prozesskategorie (bzw. eine FIM-Leistung), das dritte eine Aktivität innerhalb eines Prozesses. Es scheint also keine allgemein verstandene Definition von Aufgabe zu geben, und auch die Ebenengliederung wird nicht einmal innerhalb einer Behörde stringent durchgehalten.
Damit bleibt mir unklar, was der Mehrwert einer solchen Aufgabenliste ist. Was soll damit ausgesagt werden? Handelt es sich nur um ein Brainstorming auf dem Weg zu einer Prozesslandkarte bzw. zu einer strukturierten Prozessdokumentation? Wenn ja, warum ist sie dann ein eigener Liefergegenstand? Wenn eine Aufgabenliste wichtig ist, warum ist sie dann nie klar und einfach nachvollziehbar definiert worden, so dass jeder weiß, was damit gemeint ist und welche Information auf welche Ebene gehört?
Ich bin auf Ihre Erklärungsversuche gespannt. Vielleicht ergibt sich ja doch ein klares Bild. Schreiben Sie mir gerne, wenn Sie mir den Mehrwert erläutern können. Ansonsten zeigt das Beispiel sehr schön den Mehrwert der Methodik von ArchiMate auf. Ich werde in einen Prozess geleitet, der mich dazu bringt, eine klare Aussage finden zu müssen, bevor ich mit dem Modellieren beginnen kann. Gelingt das nicht, ist es besser, noch einmal von vorne zu beginnen, bis man eine klare Aussage gefunden hat. Das ist zwar aufwändig, aber der Aufwand lohnt sich. Immer.
Leistungskatalog
Um in diesem Artikel doch eine weitere ArchiMate-Grundlage zu legen, verwende ich statt des unklaren Aufgabenkatalogs lieber den Leistungskatalog aus dem Föderalen Informationsmanagement (FIM). Der Zuschnitt der Leistungen ist ein klar definierter Prozess, der von der FIM-Bundesredaktion begleitet wird. Nur Leistungsbeschreibungen, die die FIM-Qualitätskriterien entsprechen, erhalten den Gold-Status. Dieses stringente Vorgehen sichert die notwendige Qualität der Aussage, die für die Abbildung in ArchiMate notwendig ist.
In FIM betrachten wir die Ebene der Leistungskennung und wählen hier den Personalausweis für unser Beispiel. In ArchiMate setzen wird die Leistung als Business Service um.
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„Eine Leistung bzw. Dienstleistung (Business Service) stellt ein exakt definiertes Verhalten dar, das von einer Rolle oder einem Akteur für Nutzerinnen und Nutzer außerhalb der eigenen Organisation angeboten wird. Die Leistung hat eine Bedeutung für die Außenwelt und wird von einer oder mehreren Tätigkeiten (z. B. einem Prozess) realisiert wird.“
Die Leistung wird durch eine Art waagerecht langgezogenen Kreis dargestellt.
Im Englischen soll ein Business Service ein Verb sein, das mit einem „-ing“ endet, oder mit dem Zusatz „Service“ versehen werden. Im Deutschen gibt es hier keine adäquate Entsprechung. Zudem sind die Leistungskennungen in FIM fast immer Hauptwörter. Daher wird für FIM-Leistungen immer das Wort Leistung mit einem Doppelpunkt vorangestellt, um die Leistung „Personalausweis“ von der Plastikkarte Personalausweis zu unterscheiden.
“Die Realisierungsverbindung (Realization relationship) verbindet ein „logisches“ Element (Was wird realisiert?) mit einem stärker konkretisierten, „physischen“ Element (Wie wird das umgesetzt?), von dem es realisiert wird. So kann ein Prozess wie im Bild eine Leistung realisieren.“
Die Realisierungsverbindung wird durch eine gestrichelte Linie mit einem nicht aufgefüllten, großen Dreieck als Pfeilspitze dargestellt, wobei der Pfeil in Richtung des Elements zeigt, das realisiert wird.
Im Beispiel wird die Leistung „Personalausweis“ vom Prozess „Personalausweis ausstellen“ realisiert. In FIM wäre das die Verrichtung. Weitere Verrichtungen würden auf dieselbe Weise der Leistung Personalausweis zugeordnet.
Zusammenhang mit der Prozesslandkarte
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Da wir die Prozesse aus der Prozesslandkarte im ersten Schritt übernehmen, muss für jeden Kernprozess eine Leistung existieren, die er realisiert, und zu jeder Leistung der Behörde muss mindestens ein Kernprozess zugeordnet sein, der sie realisiert. Jedes verwaiste Element stellt einen Fehler dar.
Auf diese Weise erhält man einen Leistungskatalog (bzw. eine Leistungsbibliothek in der FIM-Semantik) für die Behörde und kann gleichzeitig die Prozesslandkarte auf Vollständigkeit prüfen.
Im Gegensatz zur Prozesslandkarte habe ich ich den Prozess außerhalb der Gruppierung dargestellt, wodurch die Aggregationsverbindung sichtbar wird.
Zusammenhang mit dem Organigramm
Da das Organigramm mit Rollen verknüpft ist, und die Rollen wiederum mit Prozessen verbunden sind, kann man über die Verbindung zwischen den Services und den Prozessen sowie zwischen den Prozessen und Rollen ablesen, welche Akteure für einen bestimmten Service verantwortlich sind.
Im Beispiel ist dem Hauptamt einer Kommunalverwaltung die Rolle Ausweisstelle zugewiesen, welche den Prozess Personalausweis ausstellen durchführt, der die Leistung Personalausweis realisiert.
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Fazit
Hier wird zum ersten Mal deutlich, welche Vorteile es bringt, wenn man Prozesslandkarten und Organigramme in ArchiMate modelliert: Da alles mit allem zusammenhängt, kann man auf diese Weise die Zusammenhänge einfach visualisieren.
Nachtrag zur Aufgabenliste
Durch mehrstufiges Recherchieren ist es doch noch gelungen, die Aufgaben in ArchiMate zu finden. Es sind allerdings keine Elemente, sondern die Zuweisungsverbindungen (Assignment relationship), die man auch als „Aufgabenbeziehung“ übersetzen könnte, also die Pfeile zwischen einem Prozess und einer Rolle.
Dann wird auch klar, warum die Aufgabenlisten so häufig inkonsistente Daten enthalten: Weil jeder nicht auf die Funktion (das Element) achtet, sondern auf seine persönliche Verbindung dazu (den Pfeil), gerät schnell das Ziel aus dem Auge. Wenn man also eine Aufgabenliste zusammen mit Beschäftigten erfasst, muss man vorab festlegen, welche Art von Beteiligung für die Aufgaben relevant ist. „Briefmarken aufkleben“ wäre z. B. eine Mitwirkung bei einer Aktivität „Bescheid zustellen“, nicht jedoch eine Durchführung. So kann man am Ende mit einem Filter über die Verantwortlichkeit nach dem DEMI-Modell eine Aufgabenliste relativ einfach in einen konsistenten Zustand versetzen.
05. Schritt: Funktionen
Auch für intern verfügbare Dienstleistungen gibt es ein ArchiMate-Element: die Funktion.
„Eine Funktion (Business function) stellt eine Zusammenfassung von Geschäftsaktivitäten dar, die einer bestimmten Anzahl von Kriterien, wie Ressourcen oder Fähigkeiten, entsprechen. Diese Aktivitäten hängen mit der Organisation zusammen, müssen aber nicht ausdrücklich von der Organisation gesteuert werden. Im Unterschied zur blauen Anwendungsfunktion beschreibt die gelbe (Geschäfts-)Funktion ausschließlich organisatorische Gegebenheiten.“
Wie Prozesse beschreibt auch die Funktion interne Aktivitäten, die von einer Rolle durchgeführt werden. Während jedoch der Prozess die Aktivitäten anhand eines Ablaufs gruppiert, der benötigt wird, um ein Produkt oder eine Dienstleistung anzubieten, gruppiert die Funktion die Aktivitäten anhand von Ressourcen, Fähigkeiten oder Wissen.
Damit kann es zwischen Funktionen und Prozessen nach der reinen ArchiMate-Definition beliebig viele Beziehungen in beide Richtungen geben (n:m-Beziehung). Es kann also ein Prozess mehrere Funktionen bedienen, aber eine Funktion auch aus mehreren Prozessen bestehen. Implizit kann man damit eine Überordnung der Funktion gegenüber dem Prozess herauslesen, auch wenn das nirgendwo ausdrücklich benannt ist.
Hier ist es zum ersten Mal sinnvoll, eine bewusste Einschränkung des offiziellen Standards für den eigenen Gebrauch der Funktionen vorzunehmen. Eine vollkommen freie Assoziation zwischen Funktion und Prozess würde nämlich zu beliebigen Aussagen führen. Daher legen wir uns fest, dass eine Funktion immer von einem oder mehreren Prozessen realisiert wird, und ein Prozess auch mehrere Funktionen realisieren kann, aber niemals eine Funktion einen Prozess realisiert.
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Im Beispiel beleuchten wir die Funktion Personalplanung. Diese besteht aus zwei Prozessen. Einerseits muss ein Personalbedarf berechnet werden, wofür ein eigener Prozess existiert. Andererseits müssen die errechneten Stellen in den Haushaltsplan eingestellt werden. Beide Prozesse zusammen sind für die Personalplanung erforderlich.
Als Pfeil habe ich mich für die bereits im 2. Schritt eingeführte unterstützende Verbindung entschieden, da beide Prozesse zwar notwendig sind, aber nicht alles ausmachen, was zur Personalplanung gehört. Denkbar wäre auch eine Aggregationsverbindung. Eine Kompositionsverbindung ist dagegen für den Prozess Haushaltsplan erstellen nicht sinnvoll, weil dieser auch ohne die Personalplanung existieren würde - schließlich sind auch Einnahmen und Ausgaben zu planen.
Zuweisung von zuständigen Rollen
Auch Funktionen kann man Rollen zuweisen. Hier sollte man jedoch vorsichtig sein: Wenn bereits über die Zuweisung der Rolle zum Prozess die Zuständigkeiten eindeutig geklärt sind, dann sollte man hier auf keinen Fall eine zusätzliche Zuweisung vornehmen. Generell stellt sich die Frage, ob man jede Rollenzuweisung als Diagramm modellieren muss, oder ob man dies nicht über Attribute an den Aktivitäten erledigt, die aus dem Glossar befüllt werden.
Durch einen Bericht kann man sowohl die indirekte Zuweisung als auch die Attributzuweisung nämlich immer darstellen. So vermeidet man das mehrfache (und dadurch fehleranfällige) Pflegen von Informationen. Insofern empfiehlt sich hier, vorher eine klare Modellierungsstrategie festzulegen und umzusetzen.
Gruppieren von Funktionen
Funktionen können genau wie Prozesse ineinander verschachtelt werden, z. B. durch eine Kompositionsverbindung. Es ist ebenfalls möglich, dass Funktionen Leistungen realisieren. Auch hier ist es wichtig, keine Doppelstrukturen anzulegen, die ggf. widersprüchlich sein können. Im Zweifel ist es immer besser, die Gruppierung über die Ebenen der Prozesslandkarte vorzunehmen und solche Zusammenhänge indirekt über Berichte auszuwerten.
Generell gilt: Vor Beginn der Modellierung muss man wissen, was abgebildet werden soll, und nach der Modellierung sollte man immer prüfen, ob das auch richtig ausgedrückt wird.
06. Schritt: Prozesslandkarte detaillieren
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Beginnen wir damit, die Prozesslandkarte erst einmal einzuordnen. Für die Abbildung von Abläufen gibt es drei Stufen, in die sich sämtliche Darstellungen einordnen lassen:
- Die Stufe 1 wird mit „Steuern“ bezeichnet. Ihre Aufgabe ist die Verdeutlichung der wichtigsten Prozessgruppen auf der obersten Ebene.
- Die Stufe 2 wird mit „Informieren, Transparenz schaffen“ bezeichnet. Ihre Aufgabe ist es, Informationen zum Ablauf von Prozessen bzw. Kollaborationen und Fällen über mehrere Ebenen zu visualisieren.
- Die Stufe 3 wird mit „Optimieren, Ermächtigen“ bezeichnet. Ihre Aufgabe ist es, Prozesse bzw. Fälle oder Entscheidungen in mehreren Ebenen detailliert aufzugliedern, mit dem Ziel, Optimierungspotentiale aufzudecken und die Beschäftigten zur Prozessausführung zu ermächtigen.
Dementsprechend gelten folgende Notationen als geeignet für die einzelnen Stufen:
Stufe | Diagrammtyp | Notationen |
1 Steuern | Prozesslandkarte | ArchiMate, WKD |
2 Informieren, Transparenz schaffen | Prozessdiagramme für Hauptprozesse Kollaborationsdiagramme Falldiagramme | BPMN BPMN CMMN |
3 Optimieren, Ermächtigen | Prozessdiagramme für Teilprozesse Falldiagramme Entscheidungsdiagramme | BPMN CMMN DMN |
Für die Prozesslandkarte bewegen wir uns also ausschließlich in der Stufe 1, auch wenn es sinnvoll sein kann, diese Stufe für einzelne Prozessgruppen zur besseren Übersicht in weitere Ebenen zu untergliedern.
Die Prozesslandkarte kann mit den neu gelernten Elementen deutlich ausführlicher gestaltet werden. Zudem lassen sich durch mehrere Detaillierungsebenen verschiedene Sichten auf die Prozessgruppen erzeugen. Das funktioniert am besten anhand eines konkreten Beispiels. Das Bundeskriminalamt hat hier dankenswerterweise seine Prozesslandkarte zur Verfügung gestellt. Die geleistete intellektuelle Vorarbeit, die dafür notwendig ist, bietet mir die Mögllichkeit, die technische Umsetzung in diesem Artikel zu präsentieren.
Auch diese Prozesslandkarte folgt der Unterteilung in Führungs-, Kern- und Unterstützungsprozesse. Wobei es sich, wie wir in den vergangenen Schritten gerlent haben, dabei nicht um Prozesse handelt, sondern um Funktionen (Führung und Unterstützung) bzw. Leistungen (Kern).
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Wie dem Bild zu entnehmen ist, existieren jeweils sechs Führungsfunktionen und Kernleistungen sowie drei Unterstützungsfunktionen. Diese bewegen sich allesamt auf einer sehr hohen Betrachtungsebene. Technisch werden sie wie gehabt mittels einer Aggregationsverbindung mit den jeweiligen Gruppierungen verbunden.
Führungs- und Strategieprozesse
Sie definieren die strategische Gesamtausrichtung des BKA, deren Grundlage der gesetzliche Auftrag (BKAG) darstellt. Sie sind entscheidend für den langfristigen Erfolg des BKA, da sie sicherstellen, dass das BKA auf Veränderungen im Kriminalitätsumfeld reagieren und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu jedem Zeitpunkt gewährleisten kann.
Führungs- und Strategieprozesse bilden die organisatorische Klammer über die Kern und Unterstützungsprozesse und umfassen alle strategischen sowie operativen Planungs-, Steuerungs- und Controllingaktivitäten zu deren optimaler Ausrichtung.
Finanzen, Controlling & Risikomanagement
Wie man unschwer erkennen kann, besteht diese Funktion aus mehreren Teilen:
Die Finanzprozesse des BKA umfassen die effektive und effiziente Verwaltung seiner finanziellen Ressourcen.
Controlling beschreibt die Überwachung und Steuerung der Geschäftsprozesse und Aktivitäten des BKA, um sicherzustellen, dass der gesetzliche Auftrag erfüllt wird. Dies umfasst die Überwachung von Performanceindikatoren, die Identifizierung von Abweichungen, die Analyse von Ursachen und die Umsetzung von Korrekturmaßnahmen.
Risikomanagement umfasst die Prozesse des BKA, Risiken zu identifizieren, zu analysieren und zu bewerten und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um diese Risiken zu minimieren oder zu eliminieren.
Diese Funktionen werden daher durch weitere (Unter-)Funktionen untergliedert, wobei hier ein neuer Verbindungstyp zum Einsatz kommt.
„Die Spezialisierungsverbindung (Specialization relationship) zeigt an, dass ein Element die Spezialisierung eines anderen Elements ist. Sie ist immer zwischen zwei Elementen desselben Typs erlaubt. Alternativ kann sie durch Verschachteln von zwei Elementen ausgedrückt werden.“
Sie ähnelt der Realisierungsverbindung, hat aber eine durchgezogene Linie mit dem bekannten nicht ausgefüllten Dreieck als Pfeilspitze.
Rein von den modellierten Elementen wäre auch eine Komposition oder Aggregation als Verbindung denkbar, die Spezialisierung trifft jedoch eher den Kern der Aussage. Bezogen auf die Spezialisierungsverbindung wäre allerdings nur die Kompositionsverbindung ein adäquater Ersatz.
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Kommunikation & Partner Relationship Management
Kommunikation und Partner Relationship Management (PRMManagement) umfassen die Prozesse des BKA, effektiv mit den Interessengruppen (Partnerinnen und Partner, Dienstleisterinnen und Dienstleister) zu kommunizieren, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Dazu gehören u. a. die Pflege von Beziehungen, der Aufbau von Vertrauen und die Lösung gemeinsamer Probleme.
Das nachfolgende Diagramm wurde mit denselben Techniken erstellt wie das darüber, zeigt aber in der Verschachtelung die Ebenen der Prozesslandkarte an. Kommunikation und Partner Relationship Management steht auf Ebene 1, die darin enthaltenen Funktionen befinden sich auf Ebene 2. Die Klammer Führungsprozesse wird manchmal als Ebene 0 bezeichnet.
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Auch wenn es interessant wäre, die weiteren Führungsfunktionen zu durchleuchten, sollte das doch ausreichen, um das Prinzip zu verdeutlichen. Echte Prozesse würde man frühestens auf Ebene 3 der Prozesslandkarte zu sehen bekommen.
Kernprozesse
Kernprozesse haben durch ihren hohen Wertschöpfungsanteil eine zentrale Bedeutung für die Organisation und werden von den Kunden und den Stakeholdern wahrgenommen und mit einer Organisation verbunden. Sie sind darauf ausgerichtet, Kundenwert zu schaffen. Ideal konfigurierte Kernprozesse machen die Individualität, die Wirtschaftlichkeit und dadurch auch die Wettbewerbsfähigkeit einer Organisation aus.
Im Behördenumfeld entstehen die Kernprozesse als Leistungen aus ihrem gesetzlichen Auftrag. Am Beispiel des BKA lässt sich das sehr gut illustrieren.
Informationssammlung und Auswertung
Das Bundeskriminalamt verfügt u.a. gem. § 2 Abs. (2, 3) und (4) Nr. 1 sowie (6) Nr. 1 BKAG zur Wahrnehmung seiner Aufgaben über Befugnisse, erforderliche Informationen zu sammeln und auszuwerten und die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder unverzüglich über die sie betreffenden Informationen und die in Erfahrung gebrachten Zusammenhänge von Straftaten zu unterrichten. Dazu unterhält das BKA als Zentralstelle einen einheitlichen polizeilichen Informationsverbund und erstellt kriminalpolizeiliche Analysen, Statistiken, einschließlich der Kriminalstatistik, und Lageberichte, um die Entwicklung der Kriminalität zu beobachten und auszuwerten.
Entsprechend mächtig ist auch der Kernprozess Informationssammlung und Auswertung. Da es sich bei den Unterteilungen um Spezialisierungen der Leistungen handelt, kommt die entsprechende Verbindung zum Einsatz. Prinzipiell könnte man auch eine Leistung von einer Funktion realisieren oder unterstützen lassen.
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Strafverfolgung und Gefahrenabwehr
Das Bundeskriminalamt nimmt gem § 4 BKAG in bestimmten Bereichen der internationalen und der schweren Kriminalität Strafverfolgungsaufgaben wahr. Dabei wird es entweder aufgrund eigener (originärer) Ermittlungszuständigkeit oder aber aufgrund eines Auftrags (i. d. R. des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof) tätig.
Dem BKA obliegt gem. § 5 BKAG die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Diese Aufgabe ist beschränkt auf Fälle, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um Übernahme ersucht.
Die Unterteilung dieser Leistung in weitere (Teil-)Leistungen erfolgt nach demselben Prinzip wie zuvor. Da dies jedoch keine neuen Erkenntnisse für unsere ArchiMate-Bemühungen bringt, verzichte ich hier auf die Detaillierung.
Übergang zur Stufe 2
Wie eingangs beschrieben, werden Prozesslandkarten in der Stufe 1 abgebildet, wahlweise mit ArchiMate oder WKD, auch wenn mehrere Ebenen innerhalb der Stufe möglich sind. Prozesse als Kollaborations- oder Ablaufdiagramme in BPMN werden in der Stufe 2 abgebildet. Dennoch ist es möglich, zwischen Elementen der Stufe 1 und der Stufe 2 eine Verknüpfung herzustellen, mit der aus der Prozesslandkarte in die Detaildarstellung der Prozessdiagramme navigiert werden kann.
Bei der Verknüpfung ergibt sich durch die ArchiMate-Regeln ein interessantes Phänomen: Zwischen einer Funktion und einem Prozess kann man eine Aggregations- oder Kompositionsverbindung ziehen, aber nicht zwischen einer Leistung und einem Prozess. Hier ist dagegen eine Realisierungsverbindung erlaubt. Möchte man die Prozesse mit einem einheitlichen Verbindungstyp mit Leistungen und Funktionen verbinden, bleibt nur die Unterstützungsverbindung.
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07. Schritt: Prozesse im Fluss
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In BPMN lassen sich mit Kollaborationsdiagrammen Zusammenhänge zwischen Prozessen grundsätzlich abbilden. Die Aussagefähigkeit ist jedoch nicht für jede Zielgruppe ausreichend. Das Kollaborationsdiagramm visualisiert, an welchen Stellen in einem Prozessfluss „etwas“ empfangen / versandt wird. Es steht die Kollboration zweier Prozesse im Vordergrund. Es kann jedoch nicht ausdrücken, warum kollaboriert wird, bzw. was genau ausgetauscht werden soll.
Als Beispiel soll uns der schwäbische Häuslebauer dienen, der ein Bauantragsformular ausfüllt und es an eine Behörde sendet. Die Behörde funktioniert dabei als Black Box, d. h. man kennt die Prozesse nicht. Deshalb wird sie als geschlossener Pool dargestellt. In Abhängigkeit von der Antwort kann dann der Häuslebauer entweder sein Haus bauen, oder muss den Hausbau verschieben und in langwierige Widerspruchsprozesse gehen.
Das Antragsformular lässt sich in BPMN als Datenobjekt gut darstellen. Schon beim Übergang zwischen „Bauantrag ausfüllen“, wo das Datenobjekt entsteht, und „Antrag absenden“ stellt sich schon die Frage, ob das Datenobjekt vielleicht nur in eine Reihe von weiteren Objekten eingebettet versandt wird. Wie stellt man das in BPMN dar?
Zudem kommt von der Baubehörde ein Datenobjekt zurück, nämlich der Bescheid. BPMN erlaubt mir allenfalls, den Bescheid an das Nachrichtenstartereignis „Antwort eingetroffen“ zu hängen, mit einem davon ausgehenden Pfeil. Das ist jedoch semantisch nicht korrekt, weil der Bescheid einerseits nicht durch das Ereignis entsteht, und andererseits das Ereignis auslöst, also als eingehender Pfeil modelliert werden müsste.
Wie kann uns ArchiMate dabei helfen, hier klarer zu werden?
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Das Bild zeigt drei Prozesse inklusive der zugewiesenen Rollen, die über eine Flussverbindung miteinander verbunden sind. Vom Prozess „Bauantrag stellen“ fließt etwas zum Prozess „Bauantrag genehmigen“, und von dort fließt etwas zum Prozess „Haus bauen“ (die Ablehnung habe ich aus Vereinfachungsgründen ausgeblendet, sie wäre ein weiterer Prozess).
„Die Flussverbindung (Flow relationship) wird benutzt, um z. B. den Fluss von Informationen, Gütern oder Geld zwischen Aktivitätselementen zu modellieren. Sie impliziert dabei weder kausale noch zeitliche Zusammenhänge.“
Viel interessanter ist jedoch eine Fähigkeit von ArchiMate, nicht nur Elemente untereinander zu verbinden, sondern auch Elemente mit Verbindungen zu verbinden. In diesem Fall haben wir bei der ersten Flussverbindung ein Geschäftsobjekt Bauantrag, das aus zwei Unterobjekten Antragsformular und Bauplan besteht, assoziiert. Ebenso haben wir bei der zweiten Flussverbindung ein Geschäftsobjekt „Baugenehmigung“ mit der Verbindung assoziiert.
„Ein Geschäftsobjekt (Business Object) stellt einen Begriff dar, der in einer spezifischen Geschäftsdomäne verwendet wird. Es wird verwendet, um einen Objekttypen zu modellieren, von dem mehrere Instanzen innerhalb einer Organisation existieren können. Es kann von anderen Geschäftsobjekten spezialisiert werden.“
Das Geschäftsobjekt ist gelb und hat oben einen nicht ausgefüllten Balken über die gesamte Breite.
Geschäftsobjekte sind passiv, d. h. sie lösen keine Prozesse aus und führen sie nicht durch. Sie können von Prozessen, Funktionen, Leistungen oder anderen Aktivitätselementen verwendet werden. Ein Geschäftsobjekt kann mit anderen Geschäftsobjekte über Verbindungen vom Typ Assoziation, Aggregation, Spezialisierung oder Komposition verbunden sein.
Der Name eines Geschäftsobjekts sollte ein Hauptwort sein.
Interaktionen
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„Eine Geschäftsinteraktion (Business Interaction) stellt eine Einheit von kollektiven Geschäftstätigkeiten dar, die von mindestens zwei Akteuren oder Rollen durchgeführt werden. Die Geschäftsinteraktion ist dem Prozess oder der Funktion ähnlich, aber während ein Prozess bzw. eine Funktion von einer einzelnen Rolle ausgeführt werden, stellt die Interaktion immer die Zusammenarbeit zwischen mindestens zwei Rollen dar. Die Interaktion kann auf Geschäftsobjekte zugreifen. Sie kann Leistungen realisieren oder Funktionen verwenden.“
Mit der Geschäftsinterkation stellen wir das eingangs gezeigte BPMN-Kollaborationsdiagramm als ArchiMate-Diagramm dar. Das soll jetzt nicht zu der Vorstellung verleiten, dass ArchiMate BPMN ablösen könne - beide Notationen haben ihren Sinn und ihren Nutzen. Es zeigt lediglich, dass man mit ArchiMate andere Aspekte desselben Sachverhalts verdeutlichen kann als mit BPMN. Insofern hängt es von der Zielgruppe und der gewünschten Aussage ab, wie ein Sachverhalt modelliert wird.
Zudem sollte hier gezeigt werden, dass die Interaktion sich ausschließlich auf die Genehmigung bezieht und nicht mehr auf den eigentlichen Hausbau.
Vorläufer und Nachfolger
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Im Attributkatalog BPMN für die Stufe Basis sind zwei Attribute definiert: Vorgängerprozess-Referenz und Nachfolgerprozess-Referenz. Mit diesen lassen sich an einem Start- bzw. Ende-Ereignis die jeweils zugehörigen Haupt-Prozesse verbinden. Für Teilprozesse sind sie jedoch nicht gedacht bzw. funktionieren auch nicht. Es ist also nicht möglich, einen Haupt-Prozess damit sinnvoll in Teilprozesse aufzubrechen.
Die Flussverbindung im ArchiMate impliziert keine zeitlichen Zusammenhänge, d. h. es muss kein zeitlicher Zusammenhang vorhanden sein, sie verbietet sie aber auch nicht, d. h. es kann ein zeitlicher Zusammenhang damit ausgedrückt werden.
Auch hier gilt: erst denken, dann modellieren. Wenn nur zwei Prozesse miteinander verbunden werden, oder die Information nur im Rahmen einer Auswertung benötigt wird, reicht die Darstellung im Attribut völlig aus. Der Aufwand für eine grafische Modellierung ist nur dann wirtschaftlich darstellbar, wenn z. B. komplexe Zusammenhänge zwischen mehreren Prozessen visualisiert werden sollen.
Auch für diesen Fall ist die Flussverbindung ideal, egal ob mit oder ohne assoziierten Geschäftsobjekten.
08. Schritt: Anwendungsarchitektur und Technologiearchitektur
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Das Bild stellt die Modellierungsfunktionalität der IT-Lösung dar, die von der Maßnahme PMT eingeführt wird. In beiden Ebenen sind Funktionen zu sehen: Oben in Gelb die bereits bekannten (Geschäfts-)Funktionen, die für intern benötigte Prozesspakete stehen. In diesem Fall sind das die Bereiche Software-Dokumentation, Anforderungsmanagement, Prozessmodellierung, Organisationsdokumentation, Architekturmanagement und Risikomanagement. Jeder dieser Funktionen versammelt eine Anzahl von Prozessen unter ihrem Dach, die hier jedoch nicht dargestellt werden.
Stattdessen finden wir in der unteren Ebene wieder Funktionen, dieses Mal aber sind die Kästchen Blau gefüllt.
„Eine Anwendungsfunktion (Application Function) ist eine automatisiere Aktivität (behavior), die von einer Anwendungskomponente durchgeführt werden kann. Die Funktion ist ausschließlich intern, im Gegensatz zu einem Anwendungsdienst (Application Service).“
Die Anwendungsfunktionen, die von der IT-Lösung Prozessmanagement angeboten werden, sind in Bezug auf die Modellierung ArchiMate, BPMN, CMMN, DMN, UML und WKD. Als Verbindung zwischen Anwendungsfunktion und (Geschäfts-)Funktion habe ich die Realisierungsverbindung gewählt.
„Die Realisierungsverbindung (Realization Relationship) sagt aus, dass ein Element eine kritische Rolle in der Erzeugung, Erreichung, Unterhaltung oder der Umsetzung eines abstrakteren Elements spielt.“
Das ist eine starke Aussage, denn sie besagt, dass die Anwendungsfunktion die Geschäftsfunktion realisiert, d. h. dass die Geschäftsfunktion ohne die Anwendungsfunktion nicht denkbar ist.
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Dieses Bild zeigt im Prinzip dasselbe, allerdings wird hier die „schwächere“ Unterstützungsverbindung zur Modellierung verwendet. Der Berichtsgenerator unterstützt alle bereits benannten Funktionen, und zusätzlich die Funktion Prozess-Controlling. Letztere wird ebenso vom Prozesssimulator unterstützt. Die Unterstützungsverbindung macht deutlich, dass die (Geschäfts-)Funktionen prinzipiell auch ohne diese Anwendungsfunktionen funktionieren würde, aber davon profitieren. Das ist insbesondere z. B. für ein Notfallmanagement eine wichtige Unterscheidung.
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Dieses Bild vereint wieder die bekannten Anwendungsfunktionen und fasst sie innerhalb der Anwendungskomponente „Prozessmanagementwerkzeug“ zusammen.
„Die Anwendungskomponente (Application Component) stellt eine Klammer um Applikationsfunktionalitäten dar, die zu einer Implementierungsstruktur zusammengefasst wird. Die Struktur soll modular sein und und für Ersetzbarkeit sorgen. Die Anwendungskomponente ist eine eigenständig Einheit und als solche unabhängig betreibbar, wiederverwendbar und ersetzbar. Eine Anwendungskomponente verrichtet eine oder mehrere Anwendungsfunktionen. Die Bereitstellung nach außen erfolgt über eine Anwendungsschnittstelle.“
Was im Bild nicht sichtbar wird, ist der Verbindungstyp: Es handelt sich um eine Realisierungsverbindung von der Anwendungskomponente zur Anwendungsfunktion.
Die Anwendungskomponente ist ebenfalls mit einer Realisierungsverbindung in einen Anwendungsdienst eingeschlossen, wobei die Richtung der Verbindung von der Komponente zum Dienst zeigt.
„Ein Anwendungsdienst (Application Service) stellt Funktionalität von Komponenten für deren Umgebung bereit. Die Funktionalität wird durch ein oder mehrere Anwendungsschnittstellen bereitgestellt. Ein Anwendungsdienst sollte Aktivitäten für seine Nutzer bereistellen, die einen Mehrwert beinhalten. Er hat einen Zweck, der den Nutzen für seine Umgebung erläutert.“
Zweimal wurde die Anwendungsschnittstelle bereits erwählt, d. h. offensichtlich fehlt etwas in dem Bild.
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Dieses Mal ist die Grafik vollständig. Auch eine Nutzeroberfläche ist eine Schnittstelle. Man hätte sie statt „Prozessmanagement-Nutzeroberfläche“ auch einfach „Prozessplattform“ oder „Prozessportal“ nennen können, aber seis drum.
„Eine Anwendungsschnittstelle (Application Interface) stellt einen Zugangspunkt dar, an dem Anwendungsdienste für den Nutzer zugänglich gemacht werden. Sie definiert, wie die Funktionalität von anderen Elementen erreicht werden kann. Sie kann Teil einer Anwendungskomponente sein, oder einem Anwendungsdienst zugewiesen werden.“
Dennoch enthält die Grafik noch einen Fehler. Sehen Sie ihn?
Der Pfeil der Unterstützungsverbindung geht vom Anwendungsdienst zur Rolle. Korrekterweise müsste er von der Anwendungsschnittstelle zur Rolle führen.
Auf der linken Seite ist der Dienst der niederschwelligen Prozessmodellierung etwas vereinfacht (z. B. Ohne Anwendungsschnittstelle) visualisiert. Er besteht aus zwei Komponenten, dem Web-Modeller oder der Digitalisierungs-App. Letztere benötigt als Material den Koffer mit Karten. Dieser Dienst unterstützt die Fachabteilungen darin, einen Informationsfluss an die Rolle Modellierer zu übertragen. Ich habe hier für die Fachabteilung einen Akteur statt einer gewählt, weil ich deutlich machen wollte, dass hier keine „feste Rolle“ Fachabteilung existiert, sondern diese aus unterschiedlichen Organisationseinheiten besteht.
Das Material ist an dieser Stelle eine Notlösung. Eigentlich wird es eher für Verbrauchsmaterial benutzt, und an der grünen Farbe ist zu erkennen, dass es nicht aus der Anwendungsarchitektur, sondern aus der Technologiearchitekturebene stammt. Manchmal kommt man eben auch mit ArchiMate an Grenzen.
Software-Architekturen
Bisher hat sich der Artikel auf die Aspekte beschränkt, die für die Zusammenarbeit zwischen Software-Architekten und Prozessmodellierern relevant sind. Damit lassen sich bereits jetzt Synergien zwischen den beiden Bereichen schaffen, die weit über das Computersymbol in BPMN hinausgehen. Insbesondere wird deutlich, warum Prozessmanagement und Architekturmanagement in einem einzigen System abgebildet werden, und dass die häufig zu beobachtende Isolation der Bereiche voneinander wenig sinnvoll ist.
Im nachfolgenden Teil tauchen wir nun etwas tiefer in die Welt der Software-Architektur ein. Für reine Proezssmodellierende mag das nicht mehr interessant sein, aber wer seinen Horizont erweitern möchte, kann gerne weiterlesen.
Die Ursprünge von ArchiMate
Ursprünglich wurde ArchiMate aus UML entwickelt, um eine Beschreibung von Software-Architekturen zu ermöglichen. Die anfängliche Ausdrucksfähigkeit beschränkte sich daher im Wesentlichen auf die folgenden Elemente:
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Leistungen (engl. Business Services) werden von Prozessen durch Rollen über Geschäftsschnittstellen (Kommunikationskanäle) erbracht. Die Realisierung erfolgt durch Anwendungs-Services, die wiederum aus Anwendungsfunktionen bestanden, die von Anwendungskomponenten über Anwendungsschnittstellen bereitgestellt werden. Die Anwendung läuft auf einem technischen Service, der von einer System-Software erbracht wird und auf einem Gerät läuft, welches eine Infrastrukturschnittstelle bereitstellt. Das Gerät ist mit einem Netzwerk verbunden, und in der Systemsoftware entstehen Datenartefakte.
Das klingt furchtbar abstrakt, und normalerweise wird nicht der gesamte Stapel abgebildet, sondern nur Teile davon. Den oberen (gelben) Teil haben wir uns ja in den vorangegangenen Schritten in einigen Facetten beleuchtet. Den grünen Infrastrukturbereich benötigt man eigentlich nur dann, wenn man ein Rechenzentrum betreibt. Der mittlere blaue Anwendungsteil verdient jedoch eine nähere Betrachtung. Starten wir mit einem extra komplexen Diagramm, das so in der Praxis wohl niemand modellieren wird.
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Bevor Sie zu viel Zeit mit dem Versuch unternehmen, die Grafik, zu verstehen: Mir war es erst einmal wichtig zu zeigen, dass ArchiMate es erlaubt, mehr als eine Verbindung zwischen zwei Elementen anzulegen, und dass auch die Richtung der Verbindungen unterschiedlich sein darf. Zum einen habe ich die bereits bekannte Flussverbindung verwendet, zum anderen die auslösende Verbindung. Doch eins nach dem Anderen:
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Diese Sicht vereinfacht die Grafik weiter oben: Zum einen sind einige Objekte entfernt worden, zum anderen die Flussverbindungen. Im Zentrum steht oben die (interne) Werkzeugschnittstelle. Diese wird von dem Produkt bereitgestellt, das die Maßnahme PMT ausgeschrieben hat. Um die Kommunikation mit dem Produkt zu standardisieren, wird mittels sogenannter Fassaden-Services eine Abstraktionsschicht zwischen die Werkzeugschnittstelle und die Außenwelt gelegt. Das wird durch die Import- und Export-Schnittstellen realisiert.
Diese werden von außen angesprochen und greifen nach innen auf die Werkzeugschnittstelle zu. Diese Richtung der Initiierung wird als Auslöser-Verbindung dargestellt und hier mit dem Wort „Zugriff“ beschrieben.
„Die Auslöser-Verbindung (Triggering Relationship) beschreibt eine zeitliche oder ursächliche Rangfolge von Aktivitäten in einem Prozess. Das Ausgangselement der Verbindung sollte abgeschlossen sein, bevor das Zielelement gestartet wird. Das muss nicht zwingend einen Auslöser bedeuten, ähnlich wie eine grüne Ampel zwar auslöst, dass die Autos über die Kreuzung fahren, diese aber nicht startet.“
Die Auslöseverbindung wird mittels eines Pfeils mit durchgezogener Linie und kleiner ausgefülltem Dreieck an der Spitze dargestellt.
In diesem Fall signalisiert die Verbindung in Zusammenhang mit der Benennung, dass der Zugriff immer von außen nach innen erfolgt, und niemals von innen nach außen. Das ist wichtig, um die Sicherheitsvorgaben für Anwendungen einzuhalten.
Der erste Auslöser für jeden Zugriff ist in diesem Fall eine Applikationsinteraktion.
„Eine Applikationsinteraktion (Application Interaction) beschreibt die gemeinsamen Aktionen, die von den Komponenten durchgeführt wird, die an einer Applikationskollaboration teilnehmen. Sie kann aber auch die von außen wahrnehmbare Aktion darstellen, die benötigt wird, um einen Anwendungs-Service zu realisieren.“
In der aktuellen Darstellung wird die zweite Variante verwendet: Die Applikationsinteraktionen, die durch eine von einer Lücke getrennte Halbkreise dargestellt werden, realisieren die Adapter-Services, die für verschiedene Zwecke realisiert werden.
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In der obigen Sicht werden dieselben Elemente gezeigt, dieses Mal werden aber nur die Flusspfeile dargestellt. Diese repräsentieren die Flussrichtung der Daten - bei einem Export von innen nach außen, bei einem Import von außen nach innen. Zudem werden an die Applikationsinteraktionen auch die Datenobjekte assoziiert, die dabei fließen.
„Ein Datenobjekt (Data Object) ist eine unabhängige Information mit einer klaren Bedeutung für die Geschäftsebene, nicht nur auf der Applikationsebene. Es kann mittels Interaktionen kommuniziert werden, und wird von Applikations-Services benutzt oder produziert.“
Das Datenobjekt sieht - abgesehen von der blauen Farbe - genauso aus wie ein Geschäftsobjekt und kann dieses spezialisieren. Somit lassen sich die eher abstrakten Geschäftsobjekte Ebene für Ebene genauer beschreiben.
Nach diesem langen Ausflug in die blaue Ebene der Applikationen, mit der gezeigt wird, wie die gemeinsame Darstellung von Ablauf- und Aufbauorganisation auch über Zuständigkeitsgrenzen hinweg geschehen kann, sollte nicht nur deutlich geworden sein, wie vielfältig ArchiMate verwendet werden kann, sondern auch, wie Geschäftsprozessmodellierung und Architektur miteinander interagieren und voneinander profitieren können.
09. Schritt: Motivationsaspekte
Haben Sie schon mal eine Umstrukturierung einer Behörde erlebt, bei der Ihnen zu jeder Zeit klar war, welcher fachliche Zweck damit verfolgt wurde, und auf welche Einflüsse warum in welcher Weise reagiert wurde?
Dieser Artikel gibt einen Ausblick, wie ein solches Vorhaben in der genannten Weise gelingen könnte. Am Anfang steht eine Stakeholder-Analyse, mittels derer man Faktoren und deren Stakeholder identifizieren kann, die eine Veränderung notwendig machen. Im zweiten Schritt wird mit einer SWOT-Analyse vertieft, wo die tatsächlichen Probleme liegen, die gelöst werden müssen. Denn nur die Kenntnis des Problems bringt uns der Lösung einen Schritt näher.
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Stakeholder-Analyse-Ansicht
Eine Stakeholder-Analyse kann dazu verwendet werden, um Veränderungstreiber zu identifizieren. Dazu benennt man zuerst die Stakeholder.
„Ein Stakeholder stellt die Rolle eines Individuums, eines Teams oder einer Organisationseinheit dar, die ihre Interessen an den Auswirkungen der Architektur vertritt. Das Symbol sieht aus wie das Rollensymbol, also ein liegendes Fass, nur dass es fliederfarben statt gelb dargestellt wird.“
Die Zusammenfassung in der Gruppierung Stakeholder erfolgt - wie auch bei den übrigen Gruppierungen, über eine Aggregationsverbindung.
Die Stakeholder werden mit den Triebfedern oder Treibern der Veränderung assoziiert.
„Triebfedern bzw. Treiber (Driver) sind eine interne oder externe Bedingung, die eine Organisation dazu motivieren, ihre Ziele zu definieren, und Änderungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um die Ziele zu erreichen. Sie wird fliederfarben mit einem Steuerrad als Symbol dargestellt.“
Die Übersetzung von Driver ist besonders schwierig, weil es so viele Bedeutungen besitzt, die irgendwie passen, aber meist nur einen Teil der Wahrheit ausdrücken. Daher verwende ich je nach Kontext Triebfeder oder Treiber.
Die Treiber werden wiederum mit Bewertungen assoziiert, die ausdrücken, welche Auswirkungen der Treiber für die Stakeholder hat.
„Eine Bewertung (Assessment) stellt das Ergebnis einer Analyse für einen Sachverhalt in Bezug auf eine Triebfeder dar. Sie wird fliederfarben mit einem Stecknadel-Symbol dargestellt.“
SWOT-Analyse
Aus dieser Stakeholder-Analyse lässt sich leicht eine SWOT-Analyse erzeugen, hier am Beispiel des Personalwesens im öffentlichen Dienst.
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- S steht für Strengthes (Stärken)
- W für Weaknesses (Schwächen)
- O für Opportunities (Chancen) und
- T für Threats (Bedrohungen).
Im Beispiel sind die Stärken der Verwaltung die Bereitstellung sicherer Arbeitsplätze und eine akzeptable Bezahlung - nicht im Spitzensegment, aber auch nicht im Bereich von Hungerlöhnen.
Schwächen sind starre Hierarchien, die durch fehlende Übernahme von Verantwortlichkeiten verschlimmert werden. Diese Verschlimmerung wird als Beeinflussungsverbindung zwischen den beiden Elementen modelliert.
„Die Beeinflussungsbeziehung (Influence Relationship) stellt dar, dass ein Element die Umsetzung oder Zielerreichung eines Motivationselements beeinflusst. Die Beziehung wird als gestrichelter Pfeil mit zwei Linien als Spitze dargestellt.“
Chancen ergäben sich z. B. dadurch, dass der Druck von außen die Optimierung von Abläufen erzwingt, und dass durch die Optimierung die Schwächen reduziert werden.
Bedrohungen sind Beharrungskräfte im Sinne der Verwaltungsdreieinigkeit: „Das war schon immer so!“, „Das haben wir noch nie so gemacht!“, und „Da könnte ja jeder kommen!“
Jedes der Elemente ist eine Bewertung, und die Verschachtelung erfolgt über eine Kompositionsverbindung.
Die Möglichkeiten der gezeigten Elemente ist hier aber bei weitem nicht ausgeschöpft, wie der nächste Artikel zeigt.
10. Schritt: Prozessbezogene Risiken
Bislang werden bei den meisten Behörden prozessbezogene Risiken an Stellen mit großem Arbeitsaufwand für die gesamte Behörde über Umfragen realisiert. Dabei muss jede Person aus dem Personalstamm angeben, ob sie bestimmte Aufgaben im Rahmen ihrer Tätigkeit ausübt.
Eine Nachfrage bei einer Innenrevision gab folgende Aufgaben als besonders risikobehaftet zurück:
- Beschaffung
- Zuwendungsbearbeitung
- Genehmigungen
- Festlegen von Standards
- Erheben von Gebühren
- Durchführung von Prüfungen in der Ausbildung
In ArchiMate würden diese Aufgaben als Funktion modelliert werden, denn Prozesse sind es nicht. Die Nachfrage, welche Risiken denn mit den Aufgaben verbunden seien, blieb unbeantwortet.
Das genannte Vorgehen mit der Umfrage ist zwar archetypisch für Behörden, aber leider nicht optimiert. Ein einzelner Bereich hat ein Informationsbedürfnis, und tritt eine Abfragewelle los - häufig per Mail mit Excel-Dateien, die dann mühevoll zusammengeführt werden müssen. Die Verendung eines Umfrage-Tools macht zwar die Zusammenfassung der Daten für die sammelnde Organisationseinheit geringer, aber nicht den für alle Beschäftigten im Haus, die die Umfrage ausfüllen müssen. Dazu kommt zumeist noch eine Validierung der Informationen über die direkten Vorgesetzten, was diesen zusätzliche Arbeit macht.
Ein intelligenteres Vorgehen im Rahmen von Prozessmanagement würde darin bestehen, schon gleich bei der Stellenbeschreibung die Risiken in den zugeordneten Prozessen zu identifizieren, und diese dann abzufragen. Denn die Informationen liegen bereits vor, nur werden sie nicht gut verwendet. In einer kombinierten Abfrage mit Daten aus der Personalverwaltung und dem Prozessmanagement ließen sich so jederzeit auf Knopfdruck qualifizierte Aussagen treffen.
Spielen wir ein solches Vorgehen einmal durch.
Risiken und Bewertungen
Taucht man etwas tiefer in das Thema Beschaffung ein, findet man schnell die dafür relevanten Risiken:
- Versorgungsrisiken - ein benötigtes Produkt oder eine Leistung ist nicht am Markt verfügbar.
- Lieferantenausfallrisiken - ein Vertragspartner ist nicht in der Lage, ein Produkt oder eine Leistung entsprechend seiner vertraglichen Pflichten zu liefern.
- Qualitätsrisiken - das beschaffte Produkt oder die beschaffte Leistung entsprechen nicht den Anforderungen.
- Preisrisiken - die Kosten für ein Produkt steigen kurz vor oder fallen kurz nach einem Vertragsabschluss.
- Nachhaltigkeitsrisiken - Ereignisse oder Bedingungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG), deren Eintreten tatsächlich oder potenziell wesentliche negative Auswirkungen auf den Wert einer Investition haben könnte.
- Compliance-Risiken - ergeben sich aus dem individuellen oder kollektiven Fehlverhalten von Mitarbeitenden, Führungskräften oder dem Management
Eine Innenrevision eines Privatunternehmens würde sich aller Risiken annehmen. Im öffentlichen Dienst beschränkt sich die Innenrevision ausschließlich auf Compliance-Risiken.
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Schauen wir uns das Ganze in ArchiMate an. Die Aufgabe Beschaffung ist eine Funktion, weil sie den Unterstützungsprozessen zugeordnet wird. Dieser Aussage wird das Compliace-Risiko assoziiert. Für das Risiko selbst wird das Symbol für Triebfedern verwendet.
Die Verbindung zwischen der Triebfeder Risiko und der Aufgabe (=eine Funktion bzw. bei einer Kernaufgabe ein Service) erfolgt über eine einfache Assoziation.
Ein Risiko selbst stellt die Möglichkeit dar, dass ein bestimmtes Ereignis zukünftig eintritt. Es sagt aber noch nichts darüber aus, wie wahrscheinlich dieser Eintritt ist, oder wie hoch der Schaden aus dem Eintritt eingeschätzt wird. Für diesen Zweck benötigen wir die Risiko-Bewertung.
Aus der Definition der Bewertung könnte man schlussfolgern, dass die Risiko-Bewertung direkt mit dem Risiko als Triebfeder erfolgen müsste, und tatsächlich ist das mittels einer Assoziation auch möglich. Warum habe ich die Bewertung dann aber per Assoziation an die Verbindung zwischen Funktion und Risiko gehängt? Und warum hängt man das nicht an die Funktion? Oder warum benötigt man überhaupt eine Trennung zwischen Risiko als Triebfeder und der Risiko-Bewertung?
Compliance-Risiken können nicht nur bei Beschaffungen auftreten, sondern auch bei den anderen genannten Aufgabenbereichen, wie z. B. bei der Genehmigung eines Antrags. Und mindestens für jeden Aufgabenbereich, teils sogar für jede Aufgabe, kann trotz identischem Risiko die Bewertung anders ausfallen. Ebenso können unterschiedliche Risiken an eine Funktion angeheftet werden, und auch deren Bewertungen können unterschiedlich ausfallen. Für diese Konstellation ist das Anhängen an die Verbindung aus meiner Sicht der sinnvollste Weg. Man versteht auf diese Weise genau, wie Funktion, Risiko und Bewertung zusammenhängen.
Wie sieht nun so eine Bewertung aus? In jedem Fall hat sie eine Eintrittswahrscheinlichkeit, die als Attribut an das Element angebracht werden muss. Darüber hinaus gibt es verschiedene Schadenskategorien, die der Eintritt des Risikos bedeuten würde. Zum einen natürlich ein wirtschaftlicher Schaden, wenn z. B. eine Produkt teurer gekauft wird, als es notwendig wäre. Zum anderen könnte das Bekanntwerden eines Fehlverhaltens eine Ansehensschaden für die Organisation verursachen. Und darüber hinaus könnte das Bekanntwerden bei Strafverfolgungsbehörden ggf. weitere negative Folgen oder Schadensersatzforderungen nach sich ziehen.
Aber sind das denn nicht unterschiedliche Risiken, weil nicht jedes Fehlverhalten auch publik wird? Im Prinzip ja, aber da das Bekanntwerden nicht ohne das Fehlverhalten möglich ist, kann es der Einfachheit halber innerhalb der Bewertung als mögliches Schadensszenario mit erfasst werden.
Kontrollziele und Anforderungen
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Führen wir unsere Modellierung ein wenig weiter, indem wir das Thema Kontrollen einführen. Eine Kontrolle ist eine Maßnahme, um den Eintritt eines Risikos möglichst frühzeitig zu erkennen. Indirekt kann bei Compliance-Risiken diese Maßnahme auch das Risiko für den Eintritt senken, denn die Gefahr, erwischt zu werden, hält manche potenziellen Täterinnen und Täter ab. Für andere Risiko-Arten gilt diese Nebenwirkung jedoch nicht.
Ziel jeder Kontrolle muss es sein, Unregelmäßigkeiten zu erkennen. Daher modellieren wir das auch als Ziel.
„Ein Ziel (Goal) stellt auf einer hohen Abstraktionsebene eine Aussage über eine Absicht, Ausrichtung oder einen gewünschten Zielzustand für eine Organisation und ihre Stakeholder dar.“
Das Ziel wird mit der Bewertung assoziiert. Im Falle von Compliance-Risiken können mehrere Ziele relevant sein, z. B.:
- Sensibilisieren der beauftragten Personen für die Möglichkeit externer Einflussnahme
- Erkennen potenzieller Unregelmäßigkeiten in Beschaffungsvorgängen
Für jedes dieser Ziele wird ein Element mit der Bewertung assoziiert.
Das beste Ziel nützt nicht, wenn man nicht weiß, wie man es realisiert. Deshalb gibt es Anforderungen zur Umsetzung der Ziele.
„Eine Anforderung (Requirement) stellt eine Bedarfserklärung für eine spezielle Eigenschaft eines spezifischen Systems dar. Für IT-Systeme wird diese in der Architektur beschrieben.“
Eine Anforderung, die die Sensibilisierung der beauftragten Person realisiert, kann z. B. lauten, dass eine Schulung zur Korruptionsprävention nicht mehr als 24 Monate für die betroffene Person zurückliegen darf. Für das Erkennen potenzieller Unregelmäßigkeiten kann die Anforderung lauten, dass Stichproben für jeweils einen von zehn Beschaffungsvorgängen durch die Innenrevision getätigt werden müssen. Es kann durchaus mehr als eine Anforderung pro Ziel geben.
Die Anforderung wird mit dem Ziel über die Realisierungsverbindung verknüpft.
Fazit
Das Thema prozessbezogene Risiken ist komplex, und es wird sogar noch komplexer, falls eine Zertifizierung nach ISO-27001 erforderlich ist. Dazu hat die OpenGroup ein Papier mit einem Beispiel veröffentlicht, aus dem ich mich hier ebenfalls bedient habe.
Grundsätzlich kann aber auch dieses komplexe Thema in ArchiMate dank der in Version 3 hinzugekommenen Motivationsebene einfach abgebildet werden.
11. Schritt: Ziele und deren Umsetzung
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Stellen Sie sich vor, Sie möchten Prozessmodellierung in Ihrer Behörde einführen und überlegen, wie Sie das anstellen sollen. Ein erstes Teilziel besteht darin, Prozesssteuerung - als Königsdisziplin des Prozessmanagements - Ihrer Zielgruppe, den Führungskräften, als erstrebenswert vorzustellen. Dazu verwenden wir das bereits bekannte Ziel und den Stakeholder aus den Elementen der Motivationsaspekten.
Die Umsetzung des Ziels wird über eine Vorgehensweise aus der ockerfarbenen Strategieebene realisiert, bei der die Mehrwerte der Prozesssteuerung aufgezeigt werden.
„Eine Vorgehensweise (Course of Action) stellt einen Ansatz oder Plan dar, mit dem Fertigkeiten oder Ressourcen einer Organisation dafür verwendet werden, um ein Ziel zu erreichen.“
Die Verbindung zwischen Vorgehensweise und Ziel ist logischerweise die Realisierungsverbindung.
Normalerweise würde man die Vorgehensweise wie in der Definition beschrieben mittels Ressourcen und Fertigkeiten weiter detaillieren. Ich habe hier aber mal einen Ausflug in die lachsfarbene Ebene namens „Implementation und Migration" getätigt und mir den Liefergegenstand genommen.
„Ein Liefergegenstand (Deliverable) stellt ein präzise definiertes Ergebnis eines Arbeitspakets dar.“
Die hier aufgeführten Liefergegenstände sind fertige Anwendungen, die ich aus einer Prozessanalyse mit anschließender Optimierung und Digitalisierung entwickelt habe. Die Basis dafür sind SharePoint und PowerBI. Mithilfe dieser Liefergegenstände versuchte, ich Führungskräften den Mehrwert von Prozessmanagement praktisch erfahrbar zu machen. Leider ließ sich die durchaus große Begeisterung für die Liefergegenstände nicht auf das Prozessmanagement übertragen.
Daher muss ich mir eine neue, umfassendere Strategie zurechtlegen.
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In der neuen Strategie habe ich zuerst einmal neue Ziele definiert. Zudem habe ich unterschiedliche Vorgehensweisen festgelegt, die zur Realisierung der jeweiligen Ziele führen sollen. Da das Aufzeigen der Mehrwerte alleine nicht reicht, um Prozessmanagement attraktiv zu machen, muss ich Prozessmanagement selbst begreifbar machen. Dafür führe ich Road Shows durch. Zusammen sollen diese beiden Vorgehensweisen das Ziel der Attraktivitätssteigerung für Prozessmanagement realisieren.
Für die Road Shows benötige ich als Ressource das Modellierungswerkzeug, für das gerade ein Zuschlag erteilt wurde.
„Eine Ressource (Resource) stellt ein Sachgut dar, das von einem Individuum oder einer Organisation kontrolliert wird bzw. sich in deren Besitz befindet.“
Die Ressource wird im Regelfall über eine Realisierungsverbindung mit einer Vorgehensweise verbunden sein. In diesem einen Fall habe ich eine Bereitstellungsverbindung (serving relation) gewählt, weil das Werkzeug zwar zwingende Voraussetzung für eine Road Show ist, aber die Road Show nicht durchführt.
Außerdem habe ich von den ersten beiden Vorgehensweisen eine Flussverbindung zur dritten Vorgehensweise gezeichnet, weil die Road Show und die Mehrwerte zusammen dazu führen sollen, dass Führungskräfte vom Prozessmanagement überzeugt sind und dann auch personelle Ressourcen in Form von Modellierenden bereitstellen. Das alles war jedoch zu kompliziert abzubilden, daher habe ich mit der Flussverbindung eine Abkürzung genommen: Die Flussverbindung kann sowohl eine inhaltliche als auch eine zeitliche Reihenfolge bedeuten. Ich habe mich hier für den zeitlichen Aspekt entschieden und stelle dar, dass eine Vorgehensweise erst dann beginnt, wenn die vorhergehende(n) erfolgreich waren. Alternativ hätte man auch eine Beeinflussungsverbindung wählen, oder den Fluss auf Ebene der Ziele darstellen können. Auch bei ArchiMate führen mehrere Wege nach Rom.
Mit diesen Modellierenden und dem Werkzeug lässt sich die Dokumentation der Prozesse in BPMN realisieren, was wiederum auf das Ziel einzahlt, Querschnittsprozesse für die eigene Abteilung zu definieren. Mit diesen Dokumentationen sowie als weiterer Vorgehensweise der Definition von Kennzahlen und Berichten lässt sich dann das Ziel der Prozesssteuerung realisieren.
Man kann hier übrigens gerne kritisch einwenden, dass Modellierende ja keine Sachgüter sind, und dass ich hier besser die Fertigkeit der Modellierung verwendet hätte. Außerdem habe ich eine Auslöseverbindung zwischen der Vorgehensweise und der Ressource Modellierende modelliert.
„Die Auslöseverbindung (Triggering Relationship) stellt eine zeitliche oder kausale Beziehung zwischen Elementen her.“
Damit wollte ich ausdrücken, dass überzeugte Führungskräfte die Ressourcen für die Modellierung bereitstellen. Falsch ist jedoch, dass die Vorgehensweise das auslöst, daher ist die hier gezeichnete Verbindung ebenfalls fehlerhaft. Bereinigen wir also das Diagramm:
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Die Fertigkeit Modellierung wird von der Rolle Modellierer realisiert.
„Eine Fertigkeit (Capability) stellt die Fähigkeit (Ability) dar, die ein aktives Strukturelement, wie eine Person, eine Organisationseinheit oder ein System, besitzt.
Aus den Fertigkeiten lassen sich übrigens auch Fertigkeitslandkarten (oft auch als Fähigkeitenlandkarte bezeichnet) erstellen, aber das ist nur etwas für in den Themen rund um Prozessmanagement wirklich weit fortgeschrittene Behörden.
12. Schritt: Fähigkeitenlandkarte
Die wesentlichen Grundzüge der deutschen Verwaltung gehen auf das Königreich Preußen zurück. Insbesondere der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., sowie Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein nahmen wesentlichen Einfluss auf ihre Form. Sie funktionierte unter Königen und in der Kaiserzeit ebenso wie in der Weimarer Republik, im Dritten Reich, der DDR, aber auch der Bundesrepublik vor und nach der „Wende“. Zwar änderten sich die politischen Ziele und die Inhalte des Verwaltungshandelns, die Strukturen und die Vorgehensweisen blieben jedoch im Kern gleich.
Und so verwundert es kaum, dass viele Aussagen zur öffentlichen Verwaltung aus Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“ auch über hundert Jahre später noch ihre Gültigkeit besitzen, z. B.: „Die Amtsführung erfolgt nach generellen, mehr oder minder festen und mehr oder minder erschöpfend erlernbaren Regeln. Die Kenntnis dieser Regeln stellt daher eine besondere Kunstlehre dar (je nachdem: Rechtskunde, Verwaltungslehre, Kontorwissenschaft), in deren Besitz die Beamten sich befinden.“
„Wenn etwas über mehrere Jahrhunderte und in unterschiedlichen politischen System funktioniert hat, wieso sollte man daran überhaupt etwas ändern?“ Dieser Gedanke steht allen Reformbestrebungen der Verwaltung der letzten Jahrzehnte entgegen, und so existiert die Verwaltung weiter in ihrer bisherigen Form, trotz aller berechtigten oder unberechtigten Kritik.
Dennoch beeinflusst auch die Umgebung stark die Verwaltung. Nicht nur die Anzahl der Anforderungen an die Verwaltung steigt, sondern auch deren Komplexität und die benötigten Fachkenntnisse zu deren Bewältigung. Gleichzeitig sinkt durch den Fachkräftemangel nicht nur die Auswahl an möglichen internen Bewerbern, sondern auch an externer Expertise. Und die Digitalisierung führt die von Weber benannte Aktenmäßigkeit an ihre Grenzen, weil plötzlich Dokumente in Informationen und diese wiederum in Daten zerlegt werden müssen.
Die sich ändernde Umwelt treibt langsam, aber stetig eine Evolution der Behördenstrukturen voran, die sich am deutlichsten im Umgang mit dem Thema Prozessmanagement zeigt.
Ursprüngliche Behörden verfügen gerade einmal über ein Organigramm und zumeist über einen Geschäftsverteilungsplan, in dem allgemein Aufgaben beschrieben sind. Die Genauigkeit und die Flughöhe der Aufgabenbeschreibungen variiert von Aufgabe zu Aufgabe, wie wir bereits im 4. Schritt dieser Artikelreihe gesehen haben. In der Konsequenz agieren Führungskräfte zumeist als erste Sachbearbeiter und müssen jederzeit zu jedem Thema sprechfähig sein. Die Hierarchie ist daher stark ausgeprägt, die Dokumentation ist spärlich und Daten werden nicht systematisch gesammelt. Das Konstrukt funktioniert gut, solange die Anforderungsbreite ein gewisses Maß nicht übersteigt und der Aufgabenbereich der Behörde nicht zu stark im Fokus des öffentlichen Interesses steht.
Die erste Stufe der Weiterentwicklung stellt eine Prozesslandkarte dar. Diese enthält noch stark an der Aufbauorganisation orientierte Gruppierungen von Aufgabenbereichen. Die Hauptgliederung in Führungs- bzw. Steuerungs-, Kern- bzw. Leistungserbringungs- sowie Unterstützungsprozesse bewirkt jedoch in einer Hinsicht ein Umdenken: Führungskräfte nehmen wahr, dass ihre Hauptaufgabe nicht darin besteht, an jedem Detail der Leistungserbringung mitzuwirken, sondern darin, die Qualität der Prozesse messbar zu machen und zu steuern. In diesem Zusammenhang tauchen erste Kennzahlen auf. Zudem wird die Aufbauorganisation nicht mehr als reines Kästchenschieben begriffen, sondern die Optimierung der Ablauforganisation zeigt erste Einflüsse auf die Aufbauorganisation. Auch die Digitalisierung macht Fortschritte.
Der demographische Wandel, Fachkräftemangel, die Digitalisierung und eine gestiegene Erwartungshaltung der Bevölkerung sorgen für einen beständigen Druck von außen, die Leistungsfähigkeit der eigenen Organisation zu verbessern. Dies kann von einzelnen Personen nicht mehr geleistet werden, weshalb eine stärkere Strukturierung und Dokumentation, aber auch die Verteilung der Aufgaben auf mehrere Schultern als einziger Lösungsweg besteht.
Ein zunehmender Umfang an Prozessdokumentation ermöglicht auch die Optimierung der Prozesse und eine stärkeren Anpassung der Aufbauorganisation an die Abläufe der Leistungserstellung. Bisher wahrgenommene Aufgaben und Tätigkeiten werden dabei hinterfragt, und es folgt eine Konsolidierung von Werkzeugen. Die Wahrnehmung von Steuerungsprozessen führt zu einer Professionalisierung in diesem Bereich, wodurch weitere Management-Disziplinen wie Anforderungsmanagement, Qualitätsmanagement, Risikomanagement oder Architekturmanagement begonnen werden. Wenn die Führungskräfte diese Entwicklung mittragen, entsteht dabei ein Kulturwandel, der sich positiv auf die Beschäftigtenzufriedenheit, das Organisationsklima und die Wahrnehmung der Organisation in der Öffentlichkeit auswirkt.
Der letzte Evolutionsschritt besteht in der Ergänzung der Prozesslandkarte durch eine Fähigkeitenlandkarte. Während die Prozesslandkarte die Organisation aus Sicht ihrer inneren Struktur beschreibt, nimmt die Fähigkeitenlandkarte den Blickwinkel des Auftrags für die Behörde ein. Es wird also das Gesetz als Grundlage genommen für die Frage: „Welche Fähigkeiten muss die Behörde besitzen, um die ihr übertragenen gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen?“ Wenn Sie die Beantwortung der Frage für einfach halten, dann versuchen Sie es gerne für ihre eigenen Behörde.
Praxisbeispiel
Versuchen wir uns nach dieser langen Vorrede einmal an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. Die BAM hat die verschiedenen Rechtsgrundlagen veröffentlicht. Damit es richtig knallt, picken wir uns das Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe, kurz SprengG heraus. Der § 45 SprengG beschreibt die Aufgaben der BAM in diesem Kontext:
Die Bundesanstalt ist zuständig für
- die Weiterentwicklung von Sicherheit in Technik und Chemie, einschließlich der Durchführung von Forschung und Entwicklung in den Arbeitsgebieten,
- die Durchführung und Auswertung physikalischer und chemischer Prüfungen von Stoffen und Anlagen einschließlich der Bereitstellung von Referenzverfahren und -materialien,
- die Förderung des Wissens- und Technologietransfers in den Arbeitsgebieten,
- die Durchführung der ihr durch dieses Gesetz zugewiesenen Aufgaben.
Punkt 4 bringt keinen direkten Erkenntnisgewinn, man muss dazu das Gesetz Paragraph für Paragraph durchlesen, und wird dann z. B. im § 33b, aber auch an vielen anderen Stellen fündig. Die erste Erkenntnis: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Belassen wir es daher für diesen Artikel bei den ersten drei Punkten. Daraus ergeben sich bereits viele Aufgaben:
- Weiterentwicklung von Sicherheit in Technik
- Durchführung von Forschung in Technik zur Weiterentwicklung der Sicherheit
- Durchführung von Entwicklung in Technik zur Weiterentwicklung der Sicherheit
- Weiterentwicklung von Sicherheit in Chemie
- Durchführung von Forschung in Chemie zur Weiterentwicklung der Sicherheit
- Durchführung von Entwicklung in Chemie zur Weiterentwicklung der Sicherheit
- Durchführung physikalischer Prüfungen von Stoffen
- Durchführung physikalischer Prüfungen von Anlagen
- Durchführung chemischen Prüfungen von Stoffen
- Durchführung chemischen Prüfungen von Anlagen
- Bereitstellung von Referenzmaterialien
- Bereitstellung von Referenzverfahren
- Förderung des Wissenstransfers
- Förderung des Technologietransfers
Durch das Aufschlüsseln der Aufgaben ergeben allein diese drei Punkte eine lange Liste. Aber damit nicht genug, hier sind erst einmal nur die Aufgaben benannt, noch keine Fähigkeiten.
Picken wir uns also die Aufgabe „Forschung in Chemie“ heraus, und überlegen wir, welche Fähigkeiten zu deren Erfüllung notwendig sind:
- Beschaffung von Material für die Experimente
- Lagerung von teils gefährlichem Material
- Planung von Experimenten
- Projektdurchführung
- Beobachtung von chemischen Vorgängen
- Analyse von chemischen Produkten
- Messen physikalischer Auswirkungen, z. B. Hitzeentwicklung
- Aufzeichnung von Abläufen
- Dokumentation von Ergebnissen
- Kommunikation mit anderen Forschungseinrichtungen
Die Liste ist ziemlich sicher nicht vollständig, stellt aber schon einmal eine valide Basis für die chemische Forschung dar.
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Verfährt man jetzt mit den anderen Punkten ähnlich, wird schnell deutlich, dass Fähigkeiten wie „Beschaffung von Material“, „Durchführung von Experimenten“ oder „Messen physikalischer Auswirkungen“ auch für andere Aufgaben benötigt werden. Man kann Fähigkeiten also zu Fähigkeitsgruppen aggregieren. Das funktioniert ähnlich wie bei der Prozesslandkarte, und auf der höchsten Aggregationsebene werden die Fähigkeiten der obersten Ebene der Prozesslandkarte relativ ähnlich sein.
„Stopp!“, höre ich jetzt einige sagen. „Wenn wir mit der Fähigkeitenlandkarte sowieso auf dasselbe rauslaufen wie mit der Prozesslandkarte, was sollen wir dann damit?“
Die Antwort besteht aus mehreren Teilen. Organisationen sind immer historisch gewachsen. Sie haben sich an veränderte Herausforderungen mehr oder weniger angepasst, wurden immer wieder umstrukturiert oder neu zusammengesetzt. Wenn man eine Behördenleitung fragt, ob die Behörde ihrem Auftrag gerecht wird, wird man immer die zutiefst menschliche Antwort erhalten: „Natürlich, wir sind optimal aufgestellt, aber wir haben zu wenig Personal.“
Die Fähigkeitenlandkarte ermöglicht es jedoch, die Frage nicht nur nach Gefühl zu beantworten, sondern genauer hinzuschauen. Einerseits kann man so erkennen, ob es benötigte Fähigkeiten gibt, die gar nicht in der Organisation verankert sind. Andererseits kann man Organisationsbereiche identifizierten, die für die benötigten Fähigkeiten überhaupt keine Funktion haben.
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Die bereits bekannte Realisierungsverbindung erlaubt es, Rollen, Akteure, Geschäftsprozesse, Leistungen und Funktionen (gelb), aber auch Applikationen (blau), Material oder Einrichtungen (grün) an die Fähigkeit zu binden. So lässt sich präzise visualisieren, was alles erforderlich ist, um aus der Fähigkeit (ability) eine Fertigkeit (capability) werden zu lassen. Umgekehrt lässt sich aber auch schnell erkennen, welche Fähigkeiten beeinträchtigt werden, wenn eine der Realisierungsnotwendigkeiten gestört ist.
Im Endausbau bedeutet das, dass für jedes vorhandene Objekt im Besitz der Organisation ein digitaler Zwilling existiert, der dann für die Modellierung und Auswertung herangezogen werden kann. Diese digitalen Zwillinge müssen jedoch nicht allesamt manuell modelliert werden. Stattdessen werden sie aus vorhandenen Datenspeichern in das Architekturmanagement kopiert und nur dann grafisch modelliert, wenn es erforderlich ist, das sichtbar zu machen.
Zudem wird nicht jedes einzelne Objekt direkt an die Fähigkeit gebunden. Stattdessen werden die aus dem 4. Schritt bekannten Funktionen verwendet, um vorhandene Objekte zusammenzufassen. An eine Funktion können Prozesse, Rollen usw. gebunden werden. Dann wird die Funktion an die Fähigkeit gebunden.
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Ein weiterer Vorteil ist, dass man auf diese Weise gut einen Soll-Ist-Abgleich durchführen kann. Die Funktionen stellen das Ist dar, die Fähigkeiten das, was die Organisation können sollte, also das Soll.
Fazit
Die Fähigkeitenlandkarte ist ein moderner, zielführender Ansatz, um eine Organisation den sich wandelnden Anforderungen an sie jederzeit objektiv gerecht werden zu lassen. Er setzt jedoch einen hohen organisatorischen Reifegrad voraus, insbesondere muss die relativ junge Kulturkompetenz Datenfähigkeit in der Organisation vorhanden sein. Ist dieses Vorgehen einmal etabliert, ermöglicht es, jederzeit Anpassungsnotwendigkeiten zu erkennen und mittels Steuerung darauf zu reagieren.
Damit endet die Reihe „Erste Schritte in ArchiMate“ vorerst. Ich hoffe, es hat Ihnen Freude gemacht, sich auf diese kleine Reise zu begeben, und Sie haben genug Freude am Thema entwickelt, und jetzt Ihre eigenen Schritte zu gehen.
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Stand 08.12.2024